Urheberrecht: "Wir befinden uns im Stadium einer ernsthaften Krankheit"

Den zu deprimierenden aktuellen Zustand des Urheberrechtes gibt William Patry als einen Grund an, seinen viel beachteten Blog zum Thema Urheberrecht zu schließen. Das Urheberrecht habe seinen Daseinszweck verloren, einen Anreiz für neue Werke zu bieten.

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Von
  • Monika Ermert

William Patry, der als Copyrightexperte für Google arbeitet, hat seinen viel beachteten privaten Blog zum Thema Urheberrecht geschlossen. Es sei Zeit gewesen, den Stecker zu ziehen, schrieb Patry in seinem Abschiedsposting, weil seine kritischen, persönlichen Blog-Einträge trotz Disclaimer regelmäßig dem Unternehmen Google zugeschrieben wurden. Eine Aufforderung von Google zur Schließung hat es laut Patry nicht gegeben.

Als zweiten gewichtigen Grund nannte Patry den "zu deprimierenden aktuellen Zustand des Urheberrechtes". Patry hatte in dem Blog mit zum Teil harschen Worten Verschärfungen im Urheberrecht kritisiert. Zuletzt rief er "zu den Waffen" gegen das von den USA, EU und einer Reihe anderer Staaten hinter verschlossenen Türen verhandelte globale Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA). Patry nannte es "gefährlich", dass statt des Kongresses das Büro des US-Handelsbeauftragten ein Urheberrechtsabkommen von der erwarteten Tragweite verhandle.

Nach 26 Jahren Tätigkeit im Bereich Urheberrecht und 800 Postings in vier Jahren auf seinem Blog sei er es leid, schrieb Patry zuletzt, als ewiger Dissident auftreten zu müssen. Als Urheberrechtler von Beruf halte der den Schutz von Werken, insbesondere im Bereich der kommerziellen Film-, Musik- und Verlagswirtschaft für essenziell, allerdings in der richtigen Dosis. Seiner Meinung nach sei man davon inzwischen weit entfernt. "Wir sind längst weit überhalb der Dosis, die der Gesundheit zuträglich ist und befinden uns im Stadium einer ernsthaften Krankheit", schreibt Patry.

Das Urheberrecht habe seinen eigentlichen Daseinszweck verloren, nämlich einen Anreiz für neue Werke zu bieten. "Stattdessen fungiert es inzwischen hauptsächlich als Absicherung gescheiterter Geschäftsmodelle, als Unterdrückung neuer Geschäftsmodelle und Technologien und dafür, soweit möglich, Gewinnmitnahmeeffekte aus Aktivitäten zu erzielen, die den Rechteinhabern nicht nur nicht schaden, sondern Nutzen bringen", schreibt Patry mit einem Seitenhieb auf den Antipirateriekampf der Unterhaltungsindustrie. Das Urheberrecht könne man nie wieder in seinen Ursprungszustand zurückversetzen, zuviele multilaterale Abkommen und Handelsverträge sicherten das ganz bewusst ab.

Zahlreiche Nutzer, darunter bekannte Urheberrechtsexperten, reagierten bestürzt auf Patrys Ankündigung. Es gab viel fachliches Lob für den "Geek-Blog" zum Urheberrecht. Vor allem aber wurde Patry auch bestürmt, das kurzerhand mit gelöschte Archiv seiner Einträge wieder online zu bringen. Patry versprach gestern in einem Nachklapp zur Schließung des Blogs, das Gros der archivierten Beiträge in einem Textfile an die zu senden, die per E-Mail nachfragten. Er werde einige triviale Beiträge streichen. Erneut auf die Webseite will er die Postings aber nicht stellen. In einer ersten Antwort auf Reaktionen hatte Patry geschrieben, dass er dadurch die Probleme, die ihn zur Schließung veranlasst hätten, erneut bekäme.

Neben der Unterstellung, dass seine Einträge offizielle Google-Meinung seien oder er möglicherweise von Dritten für den Blog bezahlt werde, deutete er im Abschiedsposting auch Auseinandersetzungen mit "Verrückten" an, die "darauf bestehen, das Leben anderer zu ruinieren". Seine Entscheidung sei gefallen, nachdem er mit dem "Verrücktesten der Verrückten" zu tun gehabt habe. Patrys Fangemeinde ging auf diese Äußerung wenig ein. Im jüngsten Posting erwägt Patry, den Blog in der Zukunft möglicherweise doch wieder zu beleben. (Monika Ermert) / (jk)