Vor 40 Jahren begann in Wyhl der Anti-Atom-Protest

"Am Anfang stand Wyhl, am Ende Fukushima", meint der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir. "Wyhl ist zum Symbol geworden für den Widerstand gegen die Atomwirtschaft und einen über die Köpfe seiner Bürger hinweg entscheidenden Staat."

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Von
  • Dorothea Dörner
  • dpa

Wyhl ist die Wiege der deutschen Umweltbewegung. In dem Dorf am Kaiserstuhl bei Freiburg begann vor 40 Jahren der Anti-Atom-Protest. Er hatte deutschlandweit Wirkung. Und führte zur Gründung der Grünen.

An den Konflikt von damals erinnert ein Gedenkstein. Er steht mitten in einem Auenwald am Rhein. Dort, wo eigentlich zwei Atommeiler geplant waren. Heute ist es Naturschutzgebiet. Die Proteste in der kleinen Gemeinde Wyhl am Kaiserstuhl bei Freiburg sind fester Bestandteil der jüngeren bundesdeutschen Geschichte. Begonnen haben sie vor 40 Jahren. Im Sommer 1973 wurde bekanntgegeben, dass in dem Rheinauenwald bei Wyhl ein Atomkraftwerk gebaut werden soll. Doch daraus wurde nichts. Die engagierten Bürger durchkreuzten den Plan.

"Wyhl ist überall": Auch in Gorleben entwickelten sich massive Proteste gegen das dort ursprünglich geplante atomare Endlager.

(Bild: Gorleben-Stein auf dem Weißekreuzplatz in Hannover, Foto: Axel Hindemith )

"Am Anfang stand Wyhl, am Ende Fukushima", sagt der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir. Was am Kaiserstuhl vor vier Jahrzehnten begann, endete mit der Nuklearkatastrophe 2011 in Japan und dem daraufhin angekündigten Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie. "Wyhl ist zum Symbol geworden für den Widerstand gegen die Atomwirtschaft und einen über die Köpfe seiner Bürger hinweg entscheidenden Staat", sagt Özdemir.

Wyhl legte vor vier Jahrzehnten den Grundstein für die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland und für die Parteigründung der Grünen. Wyhl gilt als die Wiege der deutschen Umweltbewegung.

Die Pläne, in dem von Landwirtschaft und Weinbau geprägten Dorf an der deutsch-französischen Grenze ein Atomkraftwerk mit zwei Reaktoren zu bauen, waren 1973 kaum verkündet, da gründete sich eine Bürgerinitiative. Aus ihr wurde eine Protestbewegung. Viele Menschen in der Region hatten Angst, Tausende gingen auf die Barrikaden. Am Revers trugen sie bis dahin ungekannte Sprüche wie "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv". Umweltschützer aus Frankreich solidarisierten sich und unterstützen den Protest.

Dieser gipfelte 1975 in der Besetzung des Bauplatzes. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) bezeichnete die Demonstranten als "Pöbel" und "Verbrecher". Und erkannte nicht, dass es sich um einfache Bürger handelte. "Wenn Wyhl nicht gebaut wird, dann gehen im Jahr 2000 in Baden-Württemberg die Lichter aus", hatte er gesagt. Es kam anders: 1978 gab die Regierung das "Aus" für Wyhl bekannt. Die Bürger hatten sich durchgesetzt.

An anderen Orten wie Brokdorf und Wackersdorf oder etwa beim ursprünglich geplanten Endlager in Gorleben gingen die Proteste gegen die Atomwirtschaft später weiter, nach Wyhler Vorbild. Gedacht wird dem Beginn der Proteste nicht. In zwei Jahren, wenn sich die Bauplatzbesetzung zum 40. Mal jährt, soll dies anders sein.

"Die Besetzung des Bauplatzes durch die Wyhler Bürger hat dem Protest ein Gesicht gegeben und Wyhl überregional und nachhaltig zum Symbol für erfolgreichen Widerstand gemacht", sagt ein Sprecher der in den 1970er Jahren gegründeten badisch-elsässischen Bürgerinitiativen. Wyhl dient bis heute als Maßstab der Proteste.

"Unser Dorf hat Geschichte geschrieben", sagt der Bürgermeister der 3500-Einwohner-Gemeinde, Joachim Ruth (parteilos). "Es ist aber nicht so, dass wir zum Wallfahrtsort für Atomkraftgegner geworden sind." Die Kämpfe seien ein Fall fürs Geschichtsbuch. Und außer dem Gedenkstein erinnert kaum noch etwas im Dorf daran. Zukunft, sagt Ruth, habe das Dorf auch ohne Atomkraftwerk. Dies hätten die vergangenen vier Jahrzehnte bewiesen.

Die Bürgerinitiativen versuchen, das Gedenken aufrecht zu erhalten. Und mobilisieren schon seit vielen Jahren für ein neues Ziel. Gemeinsam kämpfen deutsche und französische Umweltschützer für ein rasches Abschalten des umstrittenen Atomkraftwerks Fessenheim. Der 1977 ans Netz gegangene Meiler, nur wenige Kilometer von Wyhl entfernt direkt an der Grenze zu Deutschland, ist der älteste Atomreaktor Frankreichs. Mit Störfällen hat es in der Vergangenheit immer wieder Schlagzeilen gemacht. (jk)