Alles funkt
Es war die Dauervision des neuen Jahrtausends. Nun ist es Realität: Das Internet der Dinge verbindet Geräte, Maschinen und Produkte über das Web. Bislang etabliert sich die Vernetzung vor allem hinter den Kulissen der Unternehmen –doch Verbraucher sollten sich schon mal damit vertraut machen.
- Boris Hänßler
Es war die Dauervision des neuen Jahrtausends. Nun ist es Realität: Das Internet der Dinge verbindet Geräte, Maschinen und Produkte über das Web. Bislang etabliert sich die Vernetzung vor allem hinter den Kulissen der Unternehmen – doch Verbraucher sollten sich schon mal damit vertraut machen.
Zimmerpflanzen nehmen es einem übel, wenn sie vernachlässigt werden. Zum Glück gibt es für Menschen, denen es am grünen Daumen mangelt, technischen Beistand: Koubachi heißt er. Er sieht aus wie ein Duschkopf, kostet knapp 90 Euro und wird einfach in den Topf gesteckt – schlaffe Blätter oder verfaulte Wurzeln sind fortan passé. Koubachi enthält Sensoren, die stündlich Bodenfeuchtigkeit, Lichtintensität und Temperatur messen und die Daten über eine WLAN-Schnittstelle an den Webserver des Herstellers schicken. Dort werden die Daten einmal täglich ausgewertet. Hobby-Gärtner erhalten nach Login automatisch generierte Erinnerungen ans Gießen und Düngen sowie wissenschaftlich fundierte Pflegetipps.
Koubachi ist ein typisches Beispiel für das Internet der Dinge (kurz: IoT, von "Internet of Things"). Der Begriff wurde vom Auto-ID Center des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston geprägt. Dessen Mitgründer Kevin Ashton soll ihn 1999 als Erster verwendet haben. Die Idee: Das Internet nähert sich der physikalischen Welt an. Das Web dient bisher vor allem der Vernetzung von Computern, die miteinander "reden". Inzwischen lassen sich aber beliebige Gegenstände miteinander verbinden: Lichtschalter, Heizung und Waschmaschine ebenso wie Autos, Kleidung oder Tiefkühlpizza. Dazu braucht es eine gemeinsame Sprache, etwa die Funkstandards WLAN oder Near Field Communication (NFC), sowie ein Kommunikationsmittel auf oder in den Gegenständen – in der Regel Funkchips mit Antennen.
Das IoT ermöglicht vieles: von der intelligenten Steuerung der eigenen Wohnung mittels Smartphone über steuerfähige Stromzähler, die Haushaltsgeräte zu günstigen Tarifzeiten einschalten, bis hin zu vernetzten Autos oder komplett smarten Städten. BMW etwa hat mit der Technologie kommunizierende Autos entwickelt, die melden, wann sie neue Bremsbeläge benötigen. Die Technologie hat Vorteile, weil sich etwa Pakete bei der Post exakt nachverfolgen lassen. Sie birgt aber auch Gefahren – etwa für den Datenschutz, wenn Kleidungsstücke auch jenseits der Ladentheke noch Daten funken.
Doch warum beginnt das Internet der Dinge gerade jetzt zu boomen? Ein Hindernis für das IoT war bislang das Internetprotokoll (IP), das die Datenübertragung im Netz regelt. Eine URL wie www.heise.de muss über einen Domain-Name-System(DNS)-Server in eine IP-Adresse umgewandelt werden, damit ein Browser sie aufrufen kann. Bisherige IP-Adressen bestehen aus vier Zahlenabschnitten, beispielsweise 193.99.144.80. Damit war die Zahl der IP-Adressen auf rund vier Milliarden beschränkt. Das IoT braucht aber mehr. 2012 wurde offiziell ein neues Internetprotokoll, das IPv6, eingeführt. Es ermöglicht mit seinen aus Hexadezimal-Gruppen bestehenden Adressen 340 mal 10 hoch 36 Kombinationen. Damit sind die Weichen für den IoT-Boom gestellt. Bei der Telekom läuft inzwischen ein Prozent des Internetverkehrs über IPv6. Noch ist das wenig, aber ein steiler Anstieg ist bereits absehbar. Auch Google und verschiedene Universitäten sind über das Protokoll bereits erreichbar, und große IT-Unternehmen wie IBM und HP werben inzwischen massiv für den Ausbau des IoT.
In der heutigen Praxis ist das Internet der Dinge vor allem in der Logistik oder in der Produktion etabliert – für Verbraucher am deutlichsten sichtbar bei der Nachverfolgung von Paketen. In der Logistik sind oft Paletten mit RFID-Chips versehen. Das Akronym steht für Radio-Frequency Identification, die Identifizierung mithilfe elektromagnetischer Wellen – umgangssprachlich auch Funketiketten genannt. Die Etiketten werden wie ein Barcode auf Produkten angebracht. Sie enthalten einen Mikrochip und eine Antenne. Lesegeräte können den Chip über einige Meter hinweg über Funk auslesen. Auf dem Chip ist Platz für mehrere Kilobytes an Daten. Unternehmen speichern vor allem den Electronic Product Code (EPC) darauf ab. Dabei handelt es sich um ein Codesystem für eine eindeutige ID, vergleichbar der EAN-Nummer des Barcodes. Entwickelt wurde es von den Auto-ID Labs, einem internationalen Forschungsnetzwerk, hervorgegangen aus dem Auto-ID Center am MIT.
Die RFID-Technologie hat für den Handel einige Vorteile: Sie erleichtert die Verfolgung von Waren in der Logistik-Kette und die Inventur im Lager oder Geschäft – sie erfolgt per Knopfdruck. Auch in der Produktion sind die Chips im Einsatz: Sie sind bei einigen Firmen auf jedem Werkstück angebracht und enthalten Informationen darüber, was mit dem Stück während der Produktion passieren soll. So lassen sich individuelle Produkte in Massen herstellen. Im Gerätewerk Amberg etwa produziert Siemens elektronische Schaltgeräte in 1500 Varianten. Die Maschinen stellen sich automatisch auf jede gewünschte Bauvariante ein.
Die Verbraucher bekommen bislang wenig davon mit, was in Lager- und Fabrikhallen passiert. "Das Internet der Dinge entwickelt sich für sie fast unsichtbar", sagt Elgar Fleisch, einer der Pioniere bei der Erforschung des IoT. Er hat einen Lehrstuhl an der ETH Zürich und der Universität St. Gallen, außerdem ist er einer der beiden Leiter der Auto-ID Labs. "Die meisten Menschen interessieren sich nicht dafür, wie die Hunderttausende von kleinen Dingen mit integrierten Chips im Alltag funktionieren, solange die keinen Bildschirm haben", sagt der Forscher. Das sollten die Verbraucher aber: Entgegen der landläufigen Meinung ist das Internet der Dinge längst Alltag – nicht nur beim Blumengießen. "Es macht sich an vielen Stellen indirekt bemerkbar", sagt Fleisch, "zum Beispiel an besserem Service."
Gleichzeitig aber weckt es Misstrauen. Ein erstaunter BMW-Fahrer schrieb etwa kürzlich in einem Internetforum: "Gerade ruft meine Werkstatt an, mein Auto habe sich gemeldet. Ich muss die Bremsbeläge hinten wechseln. Woher weiß BMW das?" Der anonyme Fahrer nutzt vermutlich die BMW TeleServices. Der Dienst sendet vom Fahrzeug aus Diagnosedaten an den BMW-Service-Partner. Der meldet sich telefonisch, informiert über den möglichen Umfang der Wartung und bestellt schon einmal die entsprechenden Ersatzteile. Mit solchen Leistungen binden Unternehmen ihre Kunden stärker an sich. Das hat den Nachteil, dass diese nicht so leicht auf unabhängige Werkstätten ausweichen können. Außerdem zeigen sich die BMW-Fahrer in Foren besorgt darüber, welche Daten BMW noch verschickt. Laut Unternehmen beschränkt sich der Dienst auf "Serviceinformationen über Verschleißteile, Fahrzeugzustandsinformationen wie Check-Control-Meldungen, Batterieladezustand, Daten zur Identifizierung und Lokalisierung des Fahrzeugs im Pannenfall". Will man die Weitergabe dieser Informationen unterbinden, muss man den Service schriftlich bei der BMW-Kundenbetreuung deaktivieren.