Studie: Netzneutralität fördert Innovationen

Wenn Netzbetreiber ihre neutrale Rolle als ISP aufgeben, führt dies nach den Erkenntnissen holländischer Wirtschaftswissenschaftler zu Fehlentwicklungen des Marktes.

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Von
  • Richard Sietmann

Einer weit verbreiteten These zufolge brauchen Zugangsnetzbetreiber, um neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können, die unternehmerische Freiheit zur Diskriminierung von Inhalten, Anwendungen, Anbietern und Usern. Eine Verpflichtung zur Netzneutralität, die sie zur Gleichbehandlung zwänge, würde Innovationen ersticken und Investitionen gefährden. Einer Studie der SEO Economic Research zufolge ist jedoch genau das Gegenteil der Fall.

Netzneutralität stimuliere Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnik und setze "positive Innovationsanreize, indem sie die Marktmacht der Internet Service Provider (ISP) verringert und die Konnektivität zwischen den Endnutzern erhöht", heißt es in der jetzt vom holländischen Wirtschaftsministerium veröffentlichten Studie unter dem Titel "The Innovation-Enhancing Effects of Net Neutrality Regulation". Die Untersuchung war vom Ministerium in Auftrag gegeben worden und beruht auf einer Auswertung des Erkenntnisstandes in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur.

"Durch die Priorisierung versuchen ISP, der 'Kommodifizierungsfalle' – dem Internetzugang als homogenem Produkt – zu entgehen und können die Endnutzer mit höheren Anschlussentgelten belasten", heißt es in der Studie. Aber "das Verkehrsmanagement im Best-Effort-Routing, wie beispielsweise durch Entgelte für priorisierte Spuren und das Blockieren konkurrierender Dienste und Anwendungen, verringert den Wettbewerb unter den ISPs und erhöht insbesondere für kleine Content und Application Provider (CAPs) die Barrieren für den Markteintritt".

Indem die Überholspuren nur bestimmten großen Inhalte- und Anwendungsanbietern offeriert werden, steige die Marktmacht der ISP mit der Möglichkeit, Preise weitgehend unabhängig von Wettbewerbern und den tatsächlichen Kosten setzen zu können. Daneben entstünden "negative externe Effekte", wenn potenzielle neue Anbieter von Inhalten und Awendungen gar nicht erst auf dem Markt in Erscheinung träten. Eine Verpflichtung zur Netzneutralität wirke diesen beiden Formen des Marktversagens entgegen, indem sie die Konnektivität zwischen Endnutzern und CAPs unterstütze und auf diese Weise für ein vielfältiges Angebot sorge. Einerseits gingen mehr Endnutzer wegen der Innovationen der zumeist kleinen CAPs ins Internet, und "mehr Konnektivität macht es anderseits für kleine und große CAPs attraktiver, innovative Inhalte und Anwendungen ins Netz zu stellen", fassen die SEO-Wissenschaftler den Netzwerkeffekt zusammen, aufgrund dessen sich die höhere Konnektivität unmittelbar in finanzielle Vorteile übersetzt – je mehr Endkunden CAPs direkt über das Netz erreichen können, desto höher die potentiellen Einnahmen.

"Das World Wide Web, eBay, Facebook, Skype, Google, Yahoo oder Apache sind alles herausragende Beispiele" dafür, wie "Innovatoren ihre Anwendungen online anboten und es den Endnutzern überließen, die Vorteile der Anwendungen zu nutzen". Wenn die Rahmenbedingungen, die das ermöglichten, erhalten blieben, könnten "kleine Innovatoren weiterhin die Vielfalt an Anwendungen und Inhalten erzeugen, auf deren Grundlage neue Innovationen entstehen können".

Als erstes Land in der Europäischen Union hatten die Niederlande im vergangenen Jahr die Netzneutralität gesetzlich verankert. Nach der im Januar 2013 in Kraft getretenen Regelung dürfen Zugangsnetzbetreiber keine Internetanwendungen oder -dienste behindern oder verlangsamen, sofern dies nicht zur Sicherung des Netzbetriebs oder aufgrund rechtlicher Anforderungen unvermeidlich ist. Zudem ist es den ISP untersagt, ihre Entgelte von den über das Internet erbrachten Diensten und Anwendungen abhängig zu machen. Somit können ISP zwar volumen- und qualtitätsabhängige Endkundentarife für den Internetzugang vermarkten, die tarifliche Priorisierung oder Diskriminierung bestimmter Inhalte oder Anwendungen ist jedoch ausgeschlossen. Parallel zum Internetzugang erbrachten Dienste, also "Managed Services" wie IPTV oder das klassische Kabelfernsehen über DVB-C, werden von der Regelung nicht erfasst. (anw)