Studie der Linux-Foundation schaut hinter die Kulissen der Kernel-Entwicklung

Die Studie der Linux Foundation analysiert unter anderem, welche Entwickler die meisten Änderungen in den vergangenen drei Jahren am Linux-Quellcode vorgenommen haben und welche Firmen hinter den Programmierern stehen.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Die heute von der Linux Foundation veröffentlichten Studie Linux Kernel Development erläutert einige Hintergründe zum Entwicklungsprozess des Linux-Kernels und legt dar, welche Kernel-Hacker und Firmen die meiste Entwicklungsarbeit leisten. Zu den Autoren zählen neben Amanda McPherson (Marketing Direktorin der Linux Foundation) der unter anderem durch seine Kritik an proprietären Treibern bekannte Kernel-Entwickler Greg Kroah-Hartmann sowie Jonathan Corbet, Gründer und Executive Editor von LWN.net (Linux Weekly News). Die beiden letztgenannten sind zwei der Autoren des Buchs Linux Device Drivers; mit Hilfe von Kroah-Hartmann hatte Corbet mit der Studie vergleichbare Übersichten bereits in der Vergangenheit auf LWN.net publiziert; die jetzt veröffentlichte Studie gibt jedoch einen aktualisieren, umfangreicheren und durch einige Diagramme ansehnlicher gestalteten Überblick.

Die Untersuchung erläutert etwa die wichtigsten Kernel-Serien und den Entwicklungszyklus des seit einiger Zeit innerhalb der Linux-Serie 2.6 stetig weiterentwickelten Kernels. Sie zeigt, dass die Ende Januar freigegebene Linux-Version 2.6.24 nicht nur mit Abstand die meisten Änderungen in den vergangenen drei Jahren enthält, sondern auch einen der längsten Entwicklungszeiträume hatte. Zwischen der Freigabe von 2.6.11 und 2.6.24 integrierten die Entwickler laut der Studie rund 2,83 Patches pro Stunde in die Hauptentwicklungslinie; das summiert sich pro Tag zu 3.621 neuen, 1.550 entfernten und 1.425 veränderten Zeilen im Quellcode-Archiv. Ein neue Version in der Hauptentwicklungslinie veröffentlichen die Kernel-Hacker ungefähr alle 80 Tage.

Ferner analysierten die Autoren, welche Entwickler und Firmen denn hinter den Änderungen stehen. Dabei zeigt sich, dass bei neueren Kerneln die Zahl der beteiligten Entwickler fast drei Mal so groß ist wie vor drei Jahren bei Linux 2.6.11. Die meisten Patches haben Al Viro, David S. Miller und Adrian Bunk eingebracht; Andrew Morton folgt auf den fünften Platz. Linux-Vater Linus Torvalds selbst findet sich deutlich weiter hinten in der Liste. Das Delegieren und Koordinieren der vielen Entwickler und ihrer Arbeiten dürfte ein Großteil seiner Zeit verschlingen; zudem hat er während des von der Studie angelegten Zeitrahmens auch das für die Kernel-Entwicklung genutzte Quellcodeverwaltungssystem Git gestartet und zu nicht unerheblichen Teilen selbst programmiert.

13,9 Prozent der Entwickler verrichten die Kernel-Arbeit, ohne dass sie von einer bestimmten Firma dafür bezahlt werden. Bei 12,9 Prozent ist die Firmenzugehörigkeit unbekannt. 11,2 Prozent der Kernel-Entwickler stellt Red Hat und liegt damit vor Novell (8,9 Prozent) und IBM (8,3 Prozent); mit etwas Abstand folgen Intel, die Linux Foundation und viele andere bekannte Firmen aus dem Linux- oder Hardware-Bereich.

Bei der Interpretation der in der Studie angegebenen Zahlen und Daten sollte man wie bei jeder andere Studie auch umsichtig vorgehen. Gerade bei den von Al Viro und Adrian Bunk eingebrachten Patches etwa handelt es sich in der Regel um eher kleinere Korrekturen (nicht selten Einzeiler) und Aufräumarbeiten (etwa die Entfernung alter Treiber oder Infrastruktur) in den verschiedensten Bereichen des Kernels. Ihre Arbeit ist sicherlich von immenser Bedeutung, da die Patches der Beiden potenzielle oder tatsächlich auftretende Fehler korrigieren und den Linux-Kernel ganz allgemein in Schuss halten, damit er wartbar und verlässlich arbeitet – eine Aufgabe, die vielen anderen Entwicklern vermutlich zu langweilig wäre. Durch diese vielen kleinen Änderungen landen die beiden in der Tabelle vorne, da diese die Anzahl der eingebrachten Patches als Grundlage nimmt.

Würde man jedoch eine Aufstellung mit den durch die Entwicklern veränderten Zeilen Quellcode vornehmen, dann stünden vermutlich einige andere Entwickler an der Spitze; und es wären wohl wieder andere, wenn man "Neue Features" als Kriterium anbringt. Auch die genannten Verhältnisse der hinter den Entwickler stehenden Firmen würden sich sicherlich verschieben, wenn man nicht die Zahl der Änderungen, sondern deren Umfang zugrunde legt. Einige solcher Maßstäbe legte Corbert bei älteren Analysen auf LWN.net an (1, 2, 3, 4, 5).

Nur wenig kommt in der Studie auch der Aspekt zum Tragen, welche Aufgaben jenseits des Programmierens die Kernel-Hacker noch übernehmen. David S. Miller etwa hat es auf den zweiten Platz in der Statistik der integrierten Patches geschafft. Für die Kernel-Entwicklung insgesamt dürfte jedoch seine Arbeit als Verwalter (Subsystem-Maintainer) für die Netzwerk-Infrastruktur des Kernels viel wichtiger sein – dazu gehört das Sichten und Kritisieren von Patches ("review") anderer Entwickler sowie das Sammeln und Weiterleiten von akzeptierten Änderungen für die verschiedenen Kernel-Entwicklungszweige. Im derzeitigen Entwicklungszyklus etwa fanden zirka 13 Prozent der Patches über Miller den Weg in den von Linus Torvalds verwalteten Hauptentwicklerzweig, aus dem in den nächsten Wochen Linux 2.6.25 hervorgehen sollte. Damit ist er eines der wichtigsten Gateways und Hürden für Patches, die deren Entwickler gerne im offiziellen Kernel integriert sähen. Um diese Arbeit zu bewältigen, greift Miller auf weitere Maintainer zurück, denen er weitgehend die Pflege von Teilbereiche der Netzwerk-Infrastruktur überlässt, sie dabei aber keineswegs unbeobachtet belässt. (thl)