Kommentar: Microsofts gefährliches Spiel durch RTM-Neuinterpretation

Obgleich als Release to Manufacturing veröffentlicht, haben Entwickler erst mal keinen Zugriff auf Windows 8.1. Den Grund dafür in den Ideen des Continuous Delivery zu suchen, ist eine Strategie, die nach hinten los gehen könnte.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Alexander Neumann

Windows 8.1 hat nun RTM-Status (Release to Manufacturing), aber nur wenige haben Zugriff darauf. Da hat Microsoft doch tatsächlich im Zuge des neuen Windows-Updates sein seit Jahren etabliertes Vorgehen geändert, im Zuge eines RTM seiner Entwickler-Community die Software zum Testen und Anpassen ihrer Programme bereitzustellen. RTM bedeutete, dass die Software für reif erachtet wurde, sie einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen. Abonnenten von Microsofts Developer Network (MSDN) oder TechNet und auch andere kamen dadurch in den frühzeitigen Genuss einer neuen Auslieferung, noch bevor die normalen Nutzer am offiziellen Launch-Tag zuschlagen konnten.

RTM bedeutet nun nicht mehr länger, dass die Software auch wirklich fertig ist. Im Sinne kontinuierlicher Releases auf Basis des Schlagworts Continuous Delivery, dem sich mittlerweile auch Microsoft verpflichtet hat, werden auch nach der RTM noch ständig Updates bis zur offiziellen Premiere am 18. Oktober nachgeliefert.

Entwickler werden damit vertröstet, dass sie die seit Juni 2013 zur Verfügung stehende Preview von Windows 8.1 und die darauf angepasste Visual Studio 2013 Preview verwenden können (zwischenzeitlich hatten Unternehmenskunden übrigens noch eine weitere Preview erhalten). Auch hat Microsoft Tipps zur Migration von Windows-Store-Apps auf Windows 8.1 veröffentlicht. Heißt das nun, dass sich gar nichts mehr Entscheidendes für den Entwickler verändern wird? Sind die auf Basis der Previews erstellten Apps denn tatsächlich kompatibel mit der letztlich fertigen Version? Windows 8.1 bringt eine große Anzahl neuer APIs und Funktionen mit, für die Entwickler Zeit benötigen, um sie kennen zu lernen und zu verwenden. Keiner investiert gerne in die falsche Richtung oder passt seine schon für fertig erachtete Anwendung noch einmal an.

Die Ideen des Continuous Delivery sind zeitgemäß und äußerst hilfreich (wir bei heise Developer sind davon überzeugt, weswegen wir mit der Continuous Lifecycle 2013 eine eigene Konferenz zum Thema ausrichten). Auch Microsoft selbst hat durch die Umstellung auf häufigere Update-Releases bei Visual Studio 2012 gute Erfahrungen gemacht, da die Redmonder dadurch zwischen zwei größeren Releases die Kunden und Anwender mit schnelleren Neuerungen und Korrekturen erfreuen können.

Den Bedeutungswandel von RTM durch die Nachfrage nach schnelleren Releases zu erklären, ist hingegen ein gefährliches Unterfangen, denn es setzt das bislang gute Verhältnis mit der eigenen Entwickler-Community aufs Spiel, die gerne von den Vorteilen beispielsweise einer oft recht teuren MSDN-Mitgliedschaft profitiert hat. Unzufriedene Entwickler sind dagegen womöglich weniger oder erst später motiviert, für Windows 8.1 zu entwickeln – und der Erfolg von Windows 8.1 hängt nun mal auch davon ab, dass zuvor reichlich Apps entwickelt wurden. Schnell ist die verbliebene Hoffnung auf Windows 8 & Co. aufgegeben, und Entwickler wenden sich anderen Zielsystemen zu. (ane)