Die EU auf dem Weg zu Internetsperren

Die Europäische Union plant ein weiteres Maßnahmenpaket zum Schutz der Kinder im Internet. Access-Sperren sollen auch dazugehören.

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Von
  • Torsten Kleinz

"Der Kindesmissbrauch ist endlich auf der politischen Agenda", erklärte die Abgeordnete des Europaparlaments Lissy Gröner am Dienstag auf einer Konferenz der Provider-Organisation ISPA in Brüssel. Zu den Maßnahmen müssten auch Access-Blockaden gehören. "Zwar finden Kriminelle Wege um die Sperren herum, aber sie sind notwendig", sagte Gröner.

Dem widersprach Wim Roggeman, Präsident des belgischen Providerverbandes: "Wir wollen es klarmachen: Internetblockaden sind extrem kompliziert und teuer – so teuer, dass man ein neues Internet von Grund auf aufbauen könnte." Der zu erwartende Erfolg sei denkbar gering: "Internet-Blockaden schützen Kinder nicht." Roggeman warnte davor, die Provider zur Polizei des Internets zu machen – diese Aufgabe wollten und könnten die Unternehmen nicht erfüllen.

Welche Aufgaben auf die Internet-Wirtschaft zukommen, wird sich in den nächsten Monaten entscheiden. So bereitet die tschechische Ratspräsidentschaft einen Gipfel zur Bekämpfung von Kindesmissbrauchs vor. Dabei geht es um die Überarbeitung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie. Die nationalen Gesetze sollen harmonisiert und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Ermittler verbessert werden.

So wird das von Microsoft entwickelte System "Child Exploitation Tracking" bereits in mehreren euopäischen Ländern zum Abgleich bekannter Kinderpornografie genutzt, die nationalen Behörden können ihre Kenntnisse aber nicht miteinander abgleichen. Auch die Mitarbeit von Kinderschutz- und Selbsthilfe-Organisationen gestaltet sich schwierig, da sie mitunter je nach nationaler Rechtslage nicht mit dem kinderpornografischen Material umgehen dürfen.

Ebenfalls auf der Agenda der Familien- und Innenminister steht der "aktive Schutz" vor Kinderpornografie, also die Einführung europaweiter Access-Blockaden gegen Kinderpornografie. EU-Kommissions-Vertreter Cesar Alonso-Iriarte verspricht sich davon zumindest einen indirekten Effekt: "Wenn wir die wirtschaftlichen Erträge des Handels mit Kinderpornografie einschränken können, werden weniger Kinder missbraucht werden."

Den gleichen Ansatz verfolgt auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die in Deutschland Netzsperren gegen Kinderpornografie einrichten und bis März eine freiwillige Sperre der größten deutschen Provider durchsetzen will. Auf der Konferenz in Brüssel dämpfte Mark Bootz von der Zentralstelle der Bundesländer für den Jugendschutz im Internet jugendschutz.net jedoch die Erwartungen: "Angesichts der Diskussion in Deutschland bezweifle ich, dass es dazu kommen wird".

Auf reine Selbstverpflichtungserklärungen will die EU-Kommission nicht setzen. So kritisierte Alonso-Iriarte, dass viele Länder eine 2007 in Lanzarote verabschiedete UN-Konvention zum Schutz der Kinder nur sehr schleppend ratifizierten. Die EU werde deshalb einen stringenten Zeitplan vorgeben, an den sich die Mitgliedsstaaten halten müssten. "Wir werden bis März einen entsprechenden Vorschlag vorlegen", versprach der Kommissionsvertreter.

Dass Kinderpornographie nicht den geläufigen Argumentationsmustern in der politischen Diskussion entspricht, zeigte Leila Schilthuis vom International Centre for Missing and Exploited Children (ICMEC). Laut Untersuchungen der Organisation, die nach eigenen Angaben bisher 1200 missbrauchte Kinder identifiziert hat, wird 80 Prozent der entdeckten Kinderpornografie auf Servern in den USA gehostet. Vor diesem Hintergrund unterstütze sie auch die Diskussion um Access-Blockaden.

Obwohl in den USA im wesentlichen die gleichen Standards für Kinderpornografie gelten, gibt es jedoch entscheidende Unterschiede. So seien kinderpornografische Texte in Amerika wegen des hohen Stellenwerts der Redefreiheit weiterhin legal, ebenso fiktive Darstellungen von Kindesmissbrauch. In der täglichen Arbeit sei es oft schwer, normale Pornografie von Kinderpornografie zu unterscheiden. Anders als in Deutschland, wo der Straftatbestand der Jugendpornografie eingeführt wurde, konzentriert sich die ICMEC auf die Bilder, die präpubertäre Kinder zeigen.

Um die Täter zu identifizieren arbeitet die Organisation in den USA eng mit den Behörden zusammen: Beamte von FBI und Einwanderungsbehörde nutzten die Daten aus insgesamt 570.000 Meldungen von Kinderpornografie, um Opfer und Täter ausfindig zu machen. Ebenfalls erfolgreich sei ein Programm mit vielen Banken und Finanzunternehmen, die dabei helfen, Geldflüsse sichtbar zu machen und so die Verkäufer von Kinderpornografie zu ermitteln. Da Behörden und Kinderschützer bei der forensischen Auswertung der gewaltigen Datenmengen immer mehr in Rückstand geraten, baut die US-Behörde FBI derzeit ein eigenes Institut zur Identifizierung und Katalogisierung von kinderpornografischem Material auf.

Statt sich aber nur auf die Bekämpfung der Symptome zu konzentrieren, will sich die ICMEC in Zukunft noch mehr der Aufklärung von Kindern und Familien widmen. So hatte eine Studie der Internet Safety Technical Task Force ergeben, dass die Gefahr in Online-Netzwerken nicht so groß ist wie angenommen. "Gefährlich sind die sozialen Netzwerke besonders für Jugendliche aus Problem-Familien." Die gefährdeten sich wie auch im Offline-Leben durch ihr Verhalten.

Mehr zum Thema in Ausgabe 4/2009 der c't:

  • Betreten verboten, Familienministerin will Internetsperren gegen Kinderporno-Sites, c't 4/09, S. 80

Siehe dazu auch:

(Torsten Kleinz) / (anw)