Was wirklich wahr war (Antworten des zweiten Sommernachträtsels)

"Macht das Internet doof?" fragt derzeit ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin. Hal Faber glaubt nicht, denn viele Fragen des zweiten Sommerrätsels wurden von den heise-online-Lesern richtig gelöst.

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Von
  • Hal Faber

Nein, niemand hat die Lösung geliefert oder nur ein kleines winziges Anhaltspünktchen, warum der Start von heise online zu einem verlassenen, einsamen Berti Vogts passt. Niemand wird wohl die Lösung dieses Bilderrätsels mehr wissen, denn was 1994 für komplexe Assoziationen abliefen, können wir nicht mehr nachvollziehen: Das Internet hat uns doof gemacht, hat der Spiegel aus dem Atlantic Monthly abgeschrieben und gleich anschaulich den Beweis mitgeliefert, mit einer Versuchsanordnung, in die der arme Spiegel-Reporter gesteckt wurde: Mit einer Hand musste er ein Auto am Bildschirm auf einer kurvigen Landstraße steuern, mit der anderen musste er "richtig" oder "falsch" signalisieren, weil er Fragen zum Kommunismus oder über die griechische Mythologie beantworten musste. Vor dem Internet, vor 1994 eben, ein absolutes Kinderspiel für echte Spiegel-Journalisten, die mit der dritten Hand die Spesenabrechnungen abzeichneten. Heute ist das nicht mehr möglich, genau wie 1645 Seiten Tolstoi "Krieg und Frieden" mal eben während der ganzen Fliegerei lesen, die für den Spiegel-Artikel laut Hausmitteilung investiert wurden. Vielleicht war es das, was Berti 1994 schon wusste.

Viele Fragen des zweiten Sommerrätsels wurden von den Internet-verblödeten Lesern richtig gelöst, bei einer Frage hatte sich der verblödete Rätselleiter von einem jugendlichen Trauma mitreißen lassen. Die Frage 5 zeigt den schlecht gescannten Umgang mit einem journalistischen Folterwerkzeug namens Teletip 01 von der Hamburger Firma Geet. In Telefonzellen musste man das Mistding an einen CTK-Speedy-Akustikkoppler flanschen und hoffen, beten und bangen, dass die Übertragung des Textes in die Redaktion klappt. Angesichts der Bildqualität konnte die Rätselfrage wohl nicht gelöst werden.

Ganz anders verhielt es sich mit Frage 1, wann BTX wirklich abgeschaltet wurde. Das WWWW war nur wenige Minuten in dem Datenpool, der "vernetzt, verquatscht, verloren" macht, wie Spiegel-Autoren dichteten, da war das Datum dank Wikipedia enttarnt: BTX wurde erst am 10. Mai 2007 mit einer feierlichen "Btx Power Off"-Gala verabschiedet. Man beachte die Schreibweise: Genauso schnell, wie die Frage beantwortet wurde, erhielt der Rätselleiter einen Mail-Rüffel, BTX statt richtigerweise Btx wie Bildschirmtext geschrieben zu haben. Blöde Sache, das. Auch die Firma Compuserve in Columbus, Ohio, nach der mit einem Videoschnipsel gefragt wurde, wurde korrekt gefunden. Ein besonders aufmerksamer Rätselfreund fand gar den Compuserve-Slogan "Die ganze Welt per Tastendruck", den sich Compuserve im Ausland schützen ließ, womit sich Frage 7 beantworten ließ: Microsoft Deutschland konnte den Titel der Gates-Keynote in Deutschland wegen juristischer Bedenken nicht übersetzen und beließ es beim US-amerikanischen Original des großen Vorsitzenden. Der Ordnung halber sei die Auflösung von Frage 8 gleich nachgeschoben, die seltsamerweise nicht gelöst wurde: Die Kaffeefirma, die in der Rede von Gates anno 1990 als Beispiel herhalten musste, war Starbucks Coffee, eine kleine Klitsche aus Seattle, die gerade mit der Expansion begann. Richard Brodie, der Redenschreiber von Bill Gates, schrieb die Comdex-Keynote in einem Starbucks. Brodie, dem wir die Unterkringelung von falsch geschriebenen Worten als Standard verdanken, ist heute übrigens ein professioneller Poker-Spieler.

Doch zurück zu Frage 3 im Rätsel-Kanon. Nachdem der Chaos Computer Club mit dem BTX-Hack spektakulär auf die Gefahren der schönen neuen Online-Welt hingewiesen hatte, zogen die bayerischen Hacker nach. Getreu dem landestypischen "Hunds sammer scho" kündigten sie den ersten öffentlichen Bankeinbruch vor laufender Kamera an und alle, alle kamen: Das Fernsehen, das Radio und viele Zeitungsreporter wollten es sich einfach nicht entgehen lassen, wenn richtige Hacker ihr böses Treiben am helllichten Tag demonstrieren. Was sie dann sahen, war ein Bankeinbruch der schönsten Sorte: Hacker und Häcksen setzten sich auf eine Bank, bis diese unter der Last bajuwarischer Naturmenschen zusammenbrach. Frage 4 fragte nach den Datenknoten im französischen Minitel-Netz, jenen korrekt gefundenen Point d'Accès Vidéotexte.

Die Frage Nummer 6 verdient eigentlich eine längere juristische wie historische Abhandlung, aber bitte, wir sind ja nur zum Verblöden hier. Daher blieb nur die Kurzform übrig: Telekommunikation in Deutschland war ein streng staatlich überwachtes Geschäft. Schon der Anschluss eines nicht vom Gilb zugelassenen Telefons an das staatliche Telefonnetz war ein Anschlag auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit Deutschlands, ebenso der Betrieb nicht zugelassener "Telemodems". Weil der Betrieb eines persönlichen Computers als Mailbox am Telefonnetz illegal war, wurde 1984 der VFTK (Verein zu Förderung der Telekommunikation) gegründet, Seine Mitglieder durften zur Erfüllung des Vereinszwecks Datennetze betreiben und benutzen, obwohl dies nach dem Postmonopol eigentlich verboten war: Das Vereinsrecht war höher angesiedelt als das Fernmelderecht. Der Erfinder des juristischen Tricks, der Kaufmann Günther Leue mit seinen Geonet-Systemen, wurde als Ehrenmitglied in den CCC aufgenommen.

Zur Frage Nummer 9 zierten die Eingangsmenüs verschiedener Online-Dienste in einer kleinen Bildstrecke das Sommerrätsel-WWWW. Von links nach rechts sind dies Apples "e-World", "Europe Online" von Burda und Schwarz-Schilling (ehemaliger Postminister) und Ehapas "Fun Online" ("Europe Online" ist nicht, wie anfangs geschrieben, das dritte Bild, sondern das zweite). Als Europe Online 1995 auf der Multimediamesse Milia vorgestellt wurde, war der Dienst noch gar nicht existent. Den Journalisten wurde ein Fake demonstriert, komplett mit stilecht flackernden Modem-Lämpchen. Burda versuchte es nach diesem Anlauf noch einmal 1997 in Kooperation mit dem Microsoft Network und brachte einen Online-Dienst nur für Frauen an den Start. Doch Cybil, so der Name, hatte keine Chancen gegegen Webgrrlls und anderen Internetitäten. Mit Rätseln über das doofe Internet geht das Sommerrätsel nächsten Sonntag weiter. (Hal Faber) / (pmz)