Datenschutz-Großdemo: "Wir sind die Ziele der Überwachung"

Viele Tausende Menschen sind unter dem Motto "Freiheit statt Angst" durch Berlin gezogen. Sie fordern ein Ende der Ausspähung durch Geheimdienste und Internetkonzerne und werfen der Bundesregierung Versagen im NSA-Skandal vor.

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Mehrere tausend Demonstranten – der Veranstalter spricht von 20.000 – sind am Samstagnachmittag bei schönstem Spätsommerwetter unter dem Motto "Freiheit statt Angst" durch Berlin gezogen. Sie forderten vor allem ein Ende der Ausspähung durch Geheimdienste sowie Internetkonzerne und warfen der Bundesregierung Versagen im NSA-Skandal vor. Gleichzeitig setzten sie sich für einen starken Datenschutz in ganz Europa ein.

Rund 20.000 Demonstranten forderten ein Ende der Ausspähung durch Geheimdienste sowie Internetkonzernen.

(Bild: Stefan Krempl)

Bei der bunten Auftaktkundgebung am Alexanderplatz geißelte der Netzaktivist padeluun Geheimdienste als "Immunschwächekrankheit der Demokratie". Es müsse Schluss sein mit dem "Überwachungsstaatenverbund", in dem sich die Sicherheitsbehörden gegenseitig Informationen zuschöben und die Grundrechte der Bürger massiv verletzten.

Der Mitinitiator vermisste in der zahlreich versammelten Menge "die Industrie, die Hauptziel der Spionage ist". Deren Spitzenverbände müssten sich solange auf die Hinterbeine stellen, bis Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Edward Snowden hierzulande Asyl anbiete. Stärkere Worte fand der US-Bürgerrechtler Jacob Appelbaum, der dazu aufrief, Merkel aus der Regierung zu vertreiben. Die Westmächte haben ihm zufolge ein "globales Überwachungssystem" aufgebaut, für das keiner Rechenschaft ablegen müsse und das außer Kontrolle geraten sei.

Für ihren gerade publik gewordenen Kampf gegen kryptographische Schutzmöglichkeiten habe die National Security Agency Codenamen aus dem US-Bürgerkrieg verwendet, führte der mittlerweile nach Berlin übergesiedelte Freiheitskämpfer aus. Damit sei klar: "Wir sind die Feinde. Ihr seid das Ziel." Die Geheimdienste, deren eigentliche Aufgabe es sei, die Bürger sicher zu halten, bauten stattdessen Hintertüren in gängige Software sowie Internetanwendungen ein und unterwanderten einschlägige Sicherheitsstandards.

Demonstation Freiheit statt Angst 2013 (7 Bilder)

Der Protest der Demonstranten richtete sich auch gegen Angela Merkel und die Bundesregierung. (Bild: Stefan Krempl)

Geheimdienste wie die NSA benähmen sich so, "als wäre der Rest der Welt ihr Vorgarten, in dem sie tun und lassen können, was sie wollen", wetterte Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesregierung lasse sich mit Beschwichtigungen abfüttern und erkläre die Affäre per Ministerialdekret für beendet. Dies sei sie aber erst wenn "wir nicht mehr überwacht werden, und keinen Tag früher". Es dürfe nicht länger angehen, dass der Politik immer erst Karlsruhe Verfassungstreue beibringen müsse.

Mit PRISM und der weitgehenden Kooperation zwischen staatlichen Überwachern und Internetkonzernen wie Facebook oder Google sah Gerd Billen vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) die "Vertreibung aus dem Netzparadies" einhergehen. Jetzt müsse jedem klar sein, dass die Nutzer vermeintlich kostenlose Online-Dienste mit ihren persönlichen Informationen bezahlten. Die großen "Datenkraken" sammelten und verkauften "unsere Geschmäcker" sowie etwa Reise- oder Verbindungsinformationen. Über ihre "Kumpanei" mit Geheimdiensten würde das Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung zusätzlich täglich mit Füßen getreten. Wichtig sei es daher, Kräfte zu bündeln und US-Konzernen über die geplante EU-Datenschutzverordnung klare Grenzen zu ziehen.

Zu der Großdemo hatte wieder ein breites Bündnis aufgerufen, dem neben Oppositionsparteien zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen wie Amnesty International, der AK Vorrat, Attac, der Chaos Computer Club (CCC), DigitalCourage, die Electronic Frontier Foundation (EFF) oder ver.di angehört. Der Politik hatten die Organisatoren ins Merkblatt geschrieben, dass sie die Demonstration nicht für den Wahlkampf missbrauchen solle. So war etwa der Raum vor der Rednerbühne "für das Volk" reserviert, Parteiplakate durften dort nicht präsentiert werden. Ferner konnte jede politische Gruppe nur einen Umzugswagen anmelden.

Findige Köpfe nutzten den Protest trotzdem für öffentlichkeitswirksame Aktionen. So vermählte sich die Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, symbolisch unter dem Segen von "Pastor" Bruno Kramm mit dem Grundgesetz. Die mit Renate Künast, Volker Beck und Malte Spitz vertretene Grünenspitze schenkte Fassbrause aus, um die Freiheit als "unanzapfbar" darzustellen. (spo)