re:publica: Soziale Netzwerke und das digitale Vergessen

Auf der Bloggerkonferenz wunderte sich der Informationsrechtler Viktor Mayer-Schönberger, dass es im Land der Wiege des informationellen Selbstbestimmungsrechts keine nationale Bürgerbewegung gegen StudiVZ gibt.

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Der Informationsrechtler Viktor Mayer-Schönberger hat zur Eröffnung der Medienkonferenz re:publica 2008 heute in Berlin die versammelte Bloggergemeinde indirekt zu verstärkten Protesten gegen die Datensammelei sozialer Netzwerke aufgerufen. Der unter anderem in Harvard lehrende Österreicher empfand es als "unglaublich", dass es "keine nationale Bürgerbewegung gegen StudiVZ" gibt. Online-Gemeinschaften gehören für den Professor neben Suchmaschinen zu den größten Gefährdern der Privatsphäre und der Informationsökologie. Er verwies auf einen Fall in den USA, in denen eine angehende Lehrerin wegen eines Faschingsfotos mit dem Titel "betrunkener Pirat" auf ihrer MySpace-Seite nicht ihren Dienst antreten durfte.

Der weltweite Zugriff auf Dokumente über das Internet hat laut Mayer-Schönberger die Notwendigkeit des Vergessens selbst in Vergessenheit geraten lassen. Traditionelle Regulierungsansätze wie eine Vorabkontrolle zu verbreitender Informationen sowie die Einführung von Betroffenenrechten und Zweckbindung von Datenarchiven oder Normen zur Löschung einzelner Inhalte würden spätestens seit dem 11. September 2001 und dem damit voll erwachten staatlichen Datenhunger nicht mehr funktionieren. Der Experte plädierte daher einmal mehr für die Einführung eines Verfallsdatums für selbst erstellte Inhalte.

Michael Brehm, einer der drei Geschäftsführer Plattform StudiVZ, hielt dagegen, dass die Einstellmöglichkeiten rund um die Privatsphäre bei am meisten kritisierten sozialen Netzwerk gerade erweitert worden seien. "Wir haben Suchmaschinen explizit ausgeschlossen." Jeder Nutzer könne so nach eigenem Gutdünken über das Löschen eigener Angaben entscheiden, ohne dass Informationen gleich in den Cache großer Wegweiser durch den Netzdschungel wandern würden.

Brehm bestritt, dass StudiVZ Nutzerdaten verkaufen wolle. Die Mitgliederdatenbank sei "prinzipiell nichts wert", behauptete er. "Jedes Telefonbuch hat bessere Datenbestände als wir." Das Geschäftsmodell bestehe vielmehr ähnlich wie beim Fernsehen im Verkauf von Werbung, die nach Kriterien wie Geschlecht, Stadt, Alter und Region schaltbar sei.

Joel Berger, Leiter des Deutschlandgeschäfts von MySpace, will Voreinstellungen einführen, mit denen bestimmte Bilder nur für mit dem eigenen Profil vernetzte Freunde zugänglich gemacht werden könnten. Insgesamt versprach er mehr Mittel zum "Finetuning auch beim Eingriff in die Nutzerdaten". Lange Zeit inaktive Accounts mit wenigen Kontakten würden automatisch gelöscht.

Der Internetunternehmer Dirk Olbertz hält die in sich geschlossenen sozialen Netzwerke dagegen generell für überholt. Auch Öffnungsansätze für Applikationen Dritter wie bei dem von Google vorangetriebenen Open Social gehen ihm nicht weit genug. Mit NoseRub hat er dagegen ein Projekt entworfen, bei dem eigene Identität nebst Freunden und Profilinhalten auf einem eigenen Server oder einem frei zu wählenden Hosting-Dienst gepflegt werden können sollen. Das Umziehen mit den kompletten Informationen nebst Kontakten wird damit laut Olbertz "jederzeit möglich".

In eine ähnliche Richtung zielt die Firma Mixxt von Oliver Überholz, die einen Baukasten für soziale Netzwerke vorantreibt. Dort müsse man seine "globale Identität" nicht immer preisgeben und könne für verschiedene Plattformen unterschiedliche Datenschutzvorkehrungen treffen. Das komplette Löschen von Inhalten sei bei vernetzter Kommunikation aber immer eine komplizierte Sache, räumte er ein.

Viele der Zuhörer nutzten die Diskussion derweil für eine der besonderen interaktiven Konferenzfunktionen in Form einer "SMS-Wand" hinter den Rücken der Podiumsteilnehmer. Die Vernetzung mit der Debatte ließ aber zu wünschen übrig. Die Eingaben erschöpften sich größtenteils im "Lästern", wie es eine der Kurzmitteilungen auf den Punkt brachte. (Stefan Krempl) / (anw)