Zu Hause im Kraftwerk

Seit Mai 2012 wohnt eine Berliner Familie in einem besonderen Energieeffizienzhaus. Es produziert mehr Strom, als es verbraucht, und regelt vieles selber. Wie effektiv und nützlich ist das wirklich? Ein Erfahrungsbericht.

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Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

Seit Mai 2012 wohnt eine Berliner Familie in einem besonderen Energieeffizienzhaus. Es produziert mehr Strom, als es verbraucht, und regelt vieles selber. Wie effektiv und nützlich ist das wirklich? Ein Erfahrungsbericht.

Jörg Welke hat Mehl an den Händen, als er die Tür öffnet. "Ich muss schnell Eier in den Teig tun", sagt er und verschwindet in der Küche. Seine Tochter feiert am kommenden Tag ihren 13. Geburtstag, und er backt wie jedes Jahr Schokokuchen. Das klingt nach alltäglichem Familienleben. Doch das Haus, das Jörg Welke mit seiner Frau Simone Wiechers und zwei Kindern bewohnt, ist alles andere als alltäglich. Der eingeschossige schwarze Kasten steht auf der grünen Wiese in einer Nebenstraße nahe dem Berliner Bahnhof Zoo – und sticht zwischen Verwaltungsgebäuden und historischen Bauten ziemlich hervor. Zur Straße hin fällt er durch seine riesige Glasfassade und sein ausladendes Vordach auf, unter dem ein Elektroauto parkt.

Auch sein Innenleben ist nicht alltäglich. Denn das Effizienzhaus Plus, Aushängeschild und Forschungsprojekt des Bundesbauministeriums, soll mehr Energie produzieren, als es verbraucht. Genau gesagt: Solarstrom in Höhe von 16000 Kilowattstunden im Jahr. Der Überschuss reicht für das Elektroauto und ein -fahrrad. Benötigt die Familie den Strom nicht unmittelbar, wird er in Batterien gespeichert oder ins Stromnetz eingespeist. Zudem regeln sich Heizung und Lüftung selbst, je nachdem, wie das Wetter draußen ist. Sensoren überwachen permanent die Temperatur und die Luftfeuchte im Haus. Das Licht reagiert auf Bewegungsmelder. Wie lebt es sich in einem Haus, das fast alles selbst entscheidet?

Ein Jahr ist es jetzt her, dass die Familie zum Probewohnen eingezogen ist. "Wir sind die Versuchskaninchen für das Haus der Zukunft", sagt Welke und gibt Kakaopulver in die Schüssel mit dem Teig. Das Surren der Küchenmaschine erfüllt die offene Wohnküche, die steril und unpersönlich wie ein Möbelhaus eingerichtet ist. L-Sofa, LCD-Fernsehgerät an der Wand, weiß glänzende Einbauküche, zur Ostseite hin eine komplette Fensterfront, die den Blick auf die Terrasse freigibt. "Wir sehen uns als Botschafter der Energiewende", erklärt Welke, der selbst im unabhängigen Institut für Umweltfragen in Berlin arbeitet. "Wenn man in einem Effizienzhaus lebt, kann man mehr zeigen und überzeugen, als wenn man nur redet." Als Verkehrsminister Peter Ramsauer im Dezember 2011 unter vier Losen das mit dem Namen der Familie zieht, zögern die Welke-Wiechers nicht, für ein Jahr umzuziehen.

Doch gleich am ersten Tag in der neuen Wohnung fühlen sich die vier unbehaglich. Die große Glasfassade zur Straße hin gewährt jedem Fußgänger Einblick. Laut Ministerialprospekt ist dieses "Schaufenster" gewollt. Die Familie fühlt sich dadurch allerdings zu sehr auf dem Präsentierteller. "Wir haben weiße Rollos anbringen lassen. Ohne ging es nicht", sagt Welke. Er streicht den kakaobraunen Teig sorgsam in die längliche Backform und schiebt sie in einen modernen Induktionsherd.

Sämtliche Küchengeräte von der Geschirrspülmaschine bis zum Kühlschrank sind auf minimalen Verbrauch ausgerichtet und genügen den besten Energieklassen. Für die Beleuchtung sind besonders energiesparende Leuchtdioden in die Decke eingelassen. Bewegungsmelder registrieren, ob sich jemand im Raum aufhält, und schalten das Licht dementsprechend an oder aus. Sie sollen zusätzlich Energie sparen. "In der Regel haben wir die Bewegungsmelder aber ausgeschaltet. Das ist überflüssig und macht nur im WC Sinn", sagt Welke.

Im Hausflur im Erdgeschoss ist ein Touchscreen in die Wand eingelassen. Hier kann die Familie in die Steuerung der Haustechnik eingreifen – ein Konzept, das sich als "Smarthome"-Technologie verbreitet. Über diese Zentralsteuerung lassen sich etwa die Steckdosen vom Netz trennen, um Stand-by-Verluste bei Elektrogeräten zu vermeiden. Auch die Heizung, über die Innentemperatur automatisch geregelt, kann über den Touchscreen manuell aufgedreht oder gedrosselt werden. Zudem zeigt der Monitor allerlei Messwerte wie Luftfeuchte und Temperatur an. "Schnickschnack, das braucht man nicht", findet Welke. "Die ganze Smarthome-Geschichte ist in meinen Augen eine Fehlerquelle. Überall im Haus befinden sich Sensoren, die Messdaten übermitteln. Die gehen nach 20 Jahren nach und nach kaputt."

Das Architekturbüro Werner Sobek, das das Haus entworfen hat, verteidigt die moderne Steuerung. "Jedes Auto ist voll von Elektronik, und da empfinden alle die Einparkhilfe und Ähnliches als Komfort. In Häusern wird das bald genauso selbstverständlich sein", sagt Firmensprecher Frank Heinlein. Jörg Welke und Simone Wiechers können ihr Haus sogar über das Smartphone steuern. Als sie eines Tages länger als geplant bei Freunden bleiben, ruft Welke einen Freund an, damit der die daheim gebliebene Katze füttert. Mit dem Smartphone öffnet er ihm die Eingangstür. "Das war natürlich nett", erinnert er sich. "Aber wahrscheinlich hätte man sonst einen Schlüssel beim Nachbarn abgegeben."