CCC veröffentlicht Vertragsentwurf zum Sperren von Kinderpornographie
Der Chaos Computer Club hat die vom Bundesfamilienministerium und BKA gewünschte Vereinbarung "über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet" ins Netz gestellt.
Der Chaos Computer Club (CCC) hat die vom Bundesfamilienministerium und Bundeskriminalamt (BKA) gewünschte Vereinbarung "über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet" ins Web gestellt (PDF-Datei). Acht große Provider sollen sich laut Vertragsentwurf gegenüber dem Bundesinnenministerium und dem BKA verpflichten, die auf einer Liste mit "vollqualifizierten Domainnamen" (VDN) von der Wiesbadener Polizeibehörde werktäglich gelieferten Webadressen mit angeblich kinderpornographischen Inhalten "unverzüglich" nach Erhalt zu sperren. Die Absprache soll nach Unterschrift der Vertragsparteien sofort in Kraft treten. Von einem gesetzlichen Vorbehalt, wie ihn Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) am gestrigen Donnerstag noch als "parallele" Maßnahme ins Spiel brachte, ist nicht die Rede.
Vorschriften zur Blockadetechnik macht das Papier nicht. Der Anbieter habe sicherzustellen, dass eine Beeinträchtigung der Rechte unbeteiligter Dritter möglichst klein gehalten wird. Zudem sollen sich die Zugangsvermittler verpflichten, die Angaben in den Listen nicht an Dritte weiterzugeben und vor unbefugter Kenntnisnahme abzusichern. Viele Verzeichnisse aus Ländern, die bereits auf Web-Blockaden von Kinderpornographie setzen, sind aber bereits im Internet aufgetaucht. Das könne bei einer Wiederholung hierzulande ein Haftungsproblem für die Provider darstellen. Das BKA will selbst die Verantwortung übernehmen für "Vermögensschäden", die dem Zugangsvermittler durch Verletzung der Prüfpflichten der Polizeibehörde entstehen. Eine Haftung für widerrechtliche Eingriffe in Grundrechte der Nutzer sieht der Vertrag nicht vor.
Oliver Süme, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, hatte bei der gestrigen parlamentarischen Anhörung zu der Initiative von der Leyens Provider vor der Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrags gewarnt. Vor allem sei durch die vorgeschlagene Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Zugangsanbieter nicht das Problem der Betroffenheit etwa der den Nutzer zu garantierenden Kommunikations- und Informationsfreiheit abzudecken. Es komme daher nur eine gesetzliche Regelung in Frage. Zur Stunde verhandeln Providervertreter in Berlin mit Abgesandten des Familienministeriums und des BKAs über den Abschluss der vertraglichen Selbstverpflichtung. Nach Informationen aus dem Teilnehmerkreis hat sich bisher noch kein Zugangsvermittler bereit erklärt, das Papier sofort zu unterzeichnen.
CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn bezeichnete die Vereinbarung als einen Versuch von Ministerien, eine "freiwillige" Vorzensur ohne gesetzliche Grundlage zu schaffen; das sei "ungeheuerlich". Das Thema werde instrumentalisiert, um eine Sperrautomatik fürs Web einzuführen. Es werde deutlich, dass das Bundesinnenministerium kein Interesse an einer Strafverfolgung gegen die Täter habe, "sondern eine geheime Infrastruktur für das Zensieren von Internetseiten plant". Die Vertreter der Bundesregierung hätten sich mit dem Thema offenbar einen Bereich ausgesucht, "mit dem am ehesten gesellschaftliche Akzeptanz für Sperrmaßnahmen erreicht werden kann". Wenn eine solche Infrastruktur erst einmal vorhanden sei, könne sie auch auf sogenannte terroristische Propaganda oder Verstöße gegen Urheberrechtsbestimmungen ausgeweitet werden.
Der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, wandte sich unterdessen gegen die Kritik der Familienministerin an einem vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags im Auftrag der SPD erstellten Kurzgutachten zu Websperren. Von der Leyen hatte dessen Qualität als "unterirdisch" bezeichnet. Die Studie komme laut Tauss wie die Mehrzahl der Experten bei der Anhörung zum Schluss, "dass die bestehenden technischen Möglichkeiten zur Sperrung von Inhalten im Internet unterschiedlich zielgenau und relativ einfach umgehbar sind, zugleich aber eine erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugen". Daher seien sie lediglich als flankierende Maßnahmen und auf einer gesetzlichen Grundlage denkbar, "wenn alle andere Möglichkeiten versagen". Tauss will nun vom gesamten Bundeskabinett wissen, ob es Meinung der Familienministerin teilt. Zugleich hat er nach eigenen Angaben den Bundestagspräsidenten "um eine entsprechende Zurückweisung derartiger Unterstellungen gebeten".
Mehr zum Thema in Ausgabe 4/2009 der c't:
- Betreten verboten, Familienministerin will Internetsperren gegen Kinderporno-Sites, c't 4/09, S. 80
Siehe dazu auch:
- Familienministerin kämpft an allen Fronten für Kinderporno-Sperren
- Die EU auf dem Weg zu Internetsperren
- Gutachten: Rechtliche Bedenken gegen Internet-Sperren
- IT-Verband warnt vor "Schnellschüssen" bei Kinderporno-Sperren
- Noch viele offene Fragen bei Kinderporno-Sperren
- Kripo warnt vor rechtsfreiem Cyberspace
- Kriminalbeamte: Sperren von Kinderporno-Seiten reicht nicht
- Neue Bedenken gegen Web-Sperren im Kampf gegen Kinderpornographie
- Schäuble will Kampf gegen Kinderpornografie internationalisieren
- Internetprovider fordern klare gesetzliche Regelung für Access Blocking
- Familienministerin: Provider machen mit beim Sperren von Kinderporno
- Bundesregierung treibt Netzblockaden gegen Kinderpornografie voran
- Bundesregierung berät mit Providern über Kinderporno-Sperren
- Piratenpartei: Verhindern von Kinderporno statt Internetsperren
- "Wir verbannen Kinderpornografie wieder unter den Ladentisch"
- Niedersachsens Innenminister fordert Filterprogramme gegen Kinderpornos
- Webseiten-Sperrungen weiter in der Diskussion
- Familienministerin will Kinderporno-Sperren bald umsetzen
- Forderung nach Webseiten-Sperrungen entzweit die große Koalition
- Bundesfamilienministerin fordert Netzsperren gegen Kinderpornographie
(Stefan Krempl) / (anw)