Big Data made in Israel

Die israelische Armee ist der Inkubator für die derzeit heißeste Start-up-Szene der Welt. Experten schätzen, dass die Firmen dort in der Datenanalyse den USA und Europa zehn Jahre voraus sind.

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Von
  • Matthew Kalman

Die israelische Armee ist der Inkubator für die derzeit heißeste Start-up-Szene der Welt. Experten schätzen, dass die Firmen dort in der Datenanalyse den USA und Europa zehn Jahre voraus sind.

Tel Aviv 2011: In einem Erdgeschoss in der Mittelmeer-Metropole finden sich sechs Programmierer zusammen, um das gefühlt 5000. Hightech-Startup in Israel zu gründen. Aber sie hängen nicht an die große Glocke, was sie vorhaben. Für die Mittzwanziger kein Problem – fast alle haben bereits in der Aufklärungseinheit der israelischen Armee gearbeitet. Geheimniskrämerei gehört für sie also zum Geschäft.

Für die Armee entwickelten sie Algorithmen, die aus abgefangenen Nachrichten das künftige Verhalten von Staatsfeinden erschließen sollen. Diesen Ansatz machten sie dann zu ihrem Geschäft – nur dass dieses Mal Verbraucher statt Terroristen analysiert werden sollten. So kam es zur Gründung von Any.Do. Die „Produktivitätsapp“, die das Start-up herausbrachte, wurde ein Erfolg: Ende 2012 gehörte sie zu den am häufigsten heruntergeladenen Apps weltweit.

Das israelische Militär fördert diese Entwicklung. Jedes Jahr hält es Kurse für Jugendliche ab, die auf Teams verteilt werden. Die bilden den technischen Nachwuchs für ein Land, das derzeit pro Kopf mehr Wagniskapital anzieht als jede andere Nation. Das 2009 erschienene Buch „Start-up Nation“ sprach denn auch von einem israelischen „Wirtschaftswunder“. Die Hightech-Exporte des kleinen Nahoststaates belaufen sich inzwischen auf jährlich 25 Milliarden Dollar und machen damit ein Viertel des gesamten Exports aus.

Ein Schwerpunkt dieses „militärisch-unternehmerischen Komplexes“ von Israel ist Big Data, die Analyse von Datenmassen. „Unsere Hauptexpertise war, aus Nachrichten auf verschiedensten Kanälen Pläne der Akteure herauszufiltern“, sagt Omer Perchik, CEO von Any.Do. „Nun bauen wir eine Art Maschine, die aus den Aufgaben eines Nutzers dessen Vorhaben erkennt und ihn dabei unterstützt, diese Aufgaben vom Smartphone aus zu lösen.“

Viele Wehrpflichtige, die zwei bis drei Jahre in den israelischen Streitkräften dienen müssen, bewerben sich für die Computer-Akademie der Armee. Die befindet sich am Rand von Tel Aviv und ist eine Mischung aus Start-up-Schule, Lehrprogramm und Projektmanagement. Junge, besonders fähige Hacker etwa werden gleich für spezielle Aufklärungseinheiten wie Matzov – die sich um die Cybersicherheit Israels kümmert – rekrutiert.

„Wir sagen diesen wirklich hellen Köpfen: Hier habt ihr ein Rechenzentrum zur Verfügung, dass so viel leistet wie Google und Facebook zusammen. Macht etwas von Bedeutung damit“, sagt Michael Eisenberg, Partner beim Wagniskapitalgeber Benchmark Capital. „Wenn sie dann aus der Armee kommen, haben wir die höchste und beste Konzentration von Big-Data-Analysten in der Welt.“

Das erklärt auch, warum Konzerne wie IBM, Google, Microsoft, Intel, General Electric, eBay oder Cisco inzwischen alle größere Forschungszentren in Israel betreiben. Die beschäftigen mehr als 230.000 Menschen. Israelische Start-ups aus den Bereichen Cybersicherheit, mobiles Internet und Datenspeicherung gehören inzwischen zu den beliebtesten Übernahmekandidaten in der IT-Branche. Der vorläufig größte Deal war der Kauf von Waze, einer Karten-App, durch Google für über eine Milliarde Dollar.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die israelische Start-up-Szene seien enorm, sagt Tal Marian, Gründer des Co-Working Space „Tech Mile“ in der Nähe des belebten Rothschild-Boulevards in Tel Aviv. „Manche Militäreinheiten arbeiten wie zivile Einrichtungen. „Wenn Sie eine gute Idee für Ihre Einheit haben, die deren Mission wirklich unterstützt, bekommen Sie die nötige Finanzierung und Personalausstattung.“

In manchen Fällen ist die Verbindung zwischen Militär und Start-up ziemlich eindeutig: Die Minikamera samt der zugehörigen winzigen Batterie, die von Given Imaging entwickelt wurde, basiert ursprünglich auf einer Technologie für Militärdrohnen. Andere Verbindungen sind weniger offensichtlich. So stammen einige israelische Innovationen für Mobilfunknetze zum Teil auf der Abwehrarbeit gegen palästinensische Anschläge. Die technischen Details sind aber nach wie vor unter Verschluss.

Die im Vergleich zu den USA niedrigen Studiengebühren in Israel beflügeln die dortige Start-up-Szene zusätzlich. Der College-Besuch kostet ungefähr 3000 Dollar im Jahr. Wenn Studenten Wehrdienst und Universität hinter sich haben, sind sie in der Regel nicht verschuldet. Das erleichtert es ihnen, ein Jahr freizunehmen, um an ihrem Traum zu arbeiten.

Und manche dieser Träume gehen in Erfüllung – so wie bei Waze, dessen Mitgründer Uri Levine als Programmierer fürs Militär anfing. Die App Waze nutzt ähnlich wie Any.Do Verfahren, um den Datenverkehr zu analysieren, und erstellt daraus Karten in Echtzeit. Fachleute gehen davon aus, dass Israel bei Big-Data-Technologien inzwischen einen Vorsprung von zehn Jahren gegenüber Europa und den USA haben.

„Vor zehn Jahren war Big Data kein Begriff, obwohl Geheimdienste damals schon damit arbeiteten“, sagt Elik Ber. Der Ex-Offizier arbeitet heute für Meidata, ein Marktforschungsunternehmen. „Unternehmen, die wissen wollen, wer ihre Produkte kauft, stehen heute vor derselben Herausforderung wie das Militär.“ (nbo)