Sucht Online-Rollenspiel: Die Flucht in die Fantasy-Welt

Suchtexperten halten Online-Rollenspiele "insbesondere für Jugendliche" für "nicht ungefährlich". Die Spieler würden häufig relativ schnell zeitlich und psychisch völlig vereinnahmt.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Marco Hadem
  • dpa

Hobbys hatte Matthias L. (Name geändert) schon viele, aber keines hat das Leben des 24-jährigen Kölners so verändert wie seine letzte Leidenschaft: das Online-Rollenspiel "World of Warcraft". Weit über 90 Stunden pro Woche verbrachte er zuletzt in der virtuelle Fantasywelt "Azeroth". Experten warnen: Online-Rollenspiele wie dieses haben ein noch völlig unterschätztes Suchtpotenzial. Vor drei Jahren hatte ein Freund Matthias von dem neuen Spiel erzählt. "Damals habe ich mir noch nicht viel aus Computerspielen gemacht", erinnert er sich heute. "Aber mit "WoW" hat sich das sehr schnell geändert." Seit "World of Warcraft" 2004 von Blizzard Entertainment veröffentlicht wurde, hat es einen Siegeszug rund um den Globus angetreten. Im Januar 2008 freuten sich die Softwareentwickler, den zehn Millionsten Abonnenten begrüßen zu dürfen. Es sind vor allem der endlose Handlungsstrang und die ansprechende Grafik, die "WoW" so attraktiv machen.

So erfolgreich wie das Spiel ist, so umstritten ist es jedoch aus der Sicht von Suchtexperten. Dorothee Mücken, Mitarbeiterin im Präventionsprojekt Online-Sucht der Drogenhilfe Köln, erklärt: "'World of Warcraft' ist ja nur eines von vielen Online-Spielen. Diese einfach zu verteufeln, wäre sicherlich der falsche Weg. Man muss aber auch sagen, dass sie insbesondere für Jugendliche nicht ungefährlich sind. Die Spieler werden häufig relativ schnell zeitlich und psychisch völlig vereinnahmt." Süchtige ordnen dem Spiel ihren ganzen Tagesablauf unter, wodurch es in der Schule oder am Arbeitsplatz zu Problemen kommen kann, wie auch Matthias L. aus eigener Erfahrung berichten kann: "Ich habe immer öfter abends, nachts und das ganze Wochenende hindurch gespielt und hatte keine Zeit für essen oder duschen. Außer Zocken hat mir nichts mehr Spaß gemacht. Dadurch habe ich nicht nur irgendwann meine Freundin, sondern auch meinen Ausbildungsplatz verloren."

Nach Beobachtung von Dorothee Mücken sind Spielzeiten von 50 und mehr Wochenstunden bei exzessiven Spielern keine Seltenheit. "Diese Zeit muss natürlich woanders eingespart werden. Zudem schließen sich die Spieler irgendwann zu Gruppen, den 'Gilden', zusammen. Diese treffen sich dann zu festen Terminen, um gemeinsam zu spielen. Das alles kann zu einem enormen Gruppendruck führen." Da es sich bei der Computerspielsucht um eine sogenannte Verhaltenssucht handelt, muss sie anders therapiert werden als etwa eine Drogen- oder Alkoholsucht. "Grundsätzlich muss man jeden Fall individuell betrachten", erklärt die Expertin. "Wichtig ist, dass der Betroffene wieder in der Realität verfestigt wird und dass die Angehörigen und Freunde Interesse zeigen."

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, bestätigt dies: "Wir erhalten aus unseren Beratungsstellen eine rasant zunehmende Anzahl von Rückmeldungen, dass sich insbesondere Eltern und Lehrer über das für sie völlig neue Thema informieren wollen", sagt Bätzing im Gespräch mit dpa. "Leider sind aber viele Berater aufgrund fehlender Medienkompetenz überfordert. Hier müssen wir ansetzen, denn unsere Mitarbeiter können nur ihren Auftrag erfüllen, wenn sie gut qualifiziert sind."

Matthias hat mittlerweile eingesehen, dass er die Situation in der Vergangenheit nicht mehr unter Kontrolle hatte. "Ich habe es anfangs gar nicht gemerkt. Erst jetzt, wo ich seit knapp vier Monaten nicht mehr gezockt habe, sehe ich, dass mir mein Leben völlig entglitten war. Ich hoffe, dass ich bald wieder eine Lehrstelle bekomme und dieses Kapitel endgültig abschließen kann." (Marco Hadem, dpa) / (jk)