Technologie als Firmenvernichter
Die Lebensdauer von Großunternehmen verkürzte sich in den letzten Jahrzehnten drastisch, wie eine aktuelle Untersuchung in den USA zeigt.
- Antonio Regalado
Die Lebensdauer von Großunternehmen verkürzte sich in den letzten Jahrzehnten drastisch, wie eine aktuelle Untersuchung in den USA zeigt.
Mitte September musste sich der größte PC-Hersteller Amerikas, Hewlett-Packard, aus dem Dow Jones Industrial Index (DJI) verabschieden, jener Liste von 30 Blue-Chip-Aktien, die die grundsätzliche Zusammensetzung der US-Wirtschaft widerspiegeln sollen.
Die HP-Herausnahme aus dem Dow Jones ist ein Zeichen dafür, wie schnell sich die IT-Industrie verändert. Doch technische Neuerungen scheinen auch dazu zu führen, dass große Firmen insgesamt eine geringere Lebenserwartung haben – zumindest in ihrer ursprünglichen Form. HP ist indes nicht das einzige Unternehmen, das den DJI verlassen musste – auch Bank of America und Alcoa sagten "Bye-bye". Stattdessen wurden Nike, Visa und Goldman Sachs aufgenommen.
Richard N. Foster, ein bekannter Berater und Wirtschaftswissenschaftler, der den Begriff der "kreativen Zerstörung" in den letzten Jahrzehnten mitgeprägt hat, beschäftigt sich seit langem mit der Frage, ob Innovation die Lebensdauer von Konzernen beeinträchtigt. Mit kreativer Zerstörung ist ja genau das gemeint: Neue Technologien und der allgemeine Fortschritt führen dazu, dass frische, jüngere Marktteilnehmer das Ruder übernehmen.
HP ist dafür tatsächlich ein gutes Beispiel. Die Firma verkauft immer noch hauptsächlich PCs, Notebooks und Drucker. Und die Kunden erwerben in den letzten Jahren immer weniger dieser Geräte. Stattdessen wechseln sie zur am schnellsten wachsenden Consumer-Technik aller Zeiten – Smartphones und Tablets. HPs Geschäft ist zwar immer noch riesig, doch es schrumpft.
Um zu prüfen, ob sich Aufstieg und Fall großer Konzerne beschleunigt, hat sich Foster einen breiteren Aktienindex als den DJI angesehen, den Standard & Poor's 500 Index (S&P 500), der die 500 wertvollsten an der US-Börse gehandelten Firmen umfasst.
Dabei kam der Forscher zu dem Schluss, dass die Rate, mit der Firmen aus dem S&P 500 gedrängt werden, tatsächlich zunimmt. 1958 konnte ein Unternehmen, das frisch in den S&P aufgenommen wurde, mit einem Verbleib im Index über sage und schreibe 61 Jahre rechnen. Aktuell steht der Durchschnittswert bei nur noch 18 Jahren.
Die Firmen fallen aus dem S&P 500, wenn sie zu klein geworden sind – oder sie werden von einer anderen Firma übernommen. Oft spielt dabei das eine Rolle, was man in Fachkreisen gerne "Disruption" nennt – technologische Veränderungen, die den Markt umkrempeln können. Seit 2002 wurden Google, Amazon und Netflix in den S&P 500 aufgenommen, während Kodak, die "New York Times", Palm und Compaq den Index verlassen mussten – und das vor allem aufgrund einer sich verändernden Technologielandschaft.
Der heutige S&P 500 umfasst viele bekannte Firmen wie Apple, AT&T, Corning, Ford, Intel und Yahoo – und auch noch Hewlett-Packard. Beim aktuellen hohen Niveau an Veränderung könnten drei von vier dieser Firmen in den nächsten 15 Jahren aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, jedenfalls laut Fosters Langzeitstatistik.
Und das dürfte sich nicht ändern. Nach Ansicht des "Creative Destruction"-Papstes können Großkonzerne den Markt in Sachen Innovationen so gut wie nie überholen. Stattdessen müssen sie, um groß zu bleiben, alte Geschäftssegmente verlassen und neue für sich erobern – und zwar möglichst kompromisslos. (HP kann sich beispielsweise nicht dazu entschließen, aus dem PC-Geschäft auszusteigen.)
Fosters Daten zeigen auch, welches Unternehmen der große Langzeitüberlebende in der amerikanischen Wirtschaft ist: General Electric (GE). Es ist die einzige Firma, die seit dem Beginn des S&P 500 im Jahr 1926 noch immer im Index ist. (bsc)