Gerichtsbeschluss: keine Beschlagnahme gehosteter Dateien

Ermittlungsbehörden dürfen Daten, die auf Webservern gespeichert sind und deren Rechtswidrigkeit umstritten ist, nicht löschen lassen. Das besagt eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hamburg.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 44 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Dr. Marc Störing

Gustl Mollaths Anwalt veröffentlicht auf der Website seiner Kanzlei Dokumente aus dem Gerichtsverfahren - was die Staatsanwaltschaft als rechtswidrig ansieht.

Insbesondere Hostprovider dürften sich über einen Beschluss des Landgerichts (LG) Hamburg von Anfang September freuen: Auf Webservern gespeicherte Daten unterliegen nicht zwingend der Beschlagnahme und Löschung im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren.

Auslöser war der bundesweit viel beachtete Fall des zu Unrecht in der Psychiatrie festgehaltenen Gustl Mollath. Dessen Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate hat zahlreiche Dokumente veröffentlicht, die mit dem Vorgang rund um Mollaths Prozess und psychiatrische Unterbringung zusammenhängen. Strate sieht in dem, was geschehen ist, einen Justizskandal. Um diesen zu dokumentieren, machte er Sachverständigengutachten, Anträge, gerichtliche Beschlüsse und ähnliche Dokumente auf der Website seiner Kanzlei verfügbar. Deren Webspace wird bei der Berliner Strato AG gehostet.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg wiederum hält diese Veröffentlichungen in ungeschwärzter Form für strafbar und führt deshalb seit dem Frühjahr ein Ermittlungsverfahren gegen Gerhard Strate. Es gibt Detailvorschriften, die in bestimmten Situationen die Veröffentlichung gerichtlicher Dokumente oder die Preisgabe allgemein anwaltlicher Informationen als Straftat einstufen. Ob das Verhalten von Mollaths Anwalt im konkreten Fall tatsächlich als rechtswidrig gelten muss, ist derzeit nicht entschieden – das Ermittlungsverfahren läuft noch.

Im Rahmen dieses Verfahrens hatten die Strafverfolger im Mai beim Amtsgericht (AG) Hamburg beantragt, das Gericht möge die Löschung der vermeintlich rechtswidrig gehosteten Daten anordnen. Dabei bezog sich die Staatsanwaltschaft auf Vorschriften zur Beschlagnahme – diese erlauben es, "Gegenstände" einzuziehen, die vereinfacht gesagt als Tatwerkzeug gedient haben (§§ 111b Abs. 1,
111c Abs. 1, 111m StPO, §§ 74 Abs. 1, 74a Abs. 2 Nr. 1 StGB).

In diesem Fall verlangte die Behörde die Löschung der Daten auf dem Webserver. Das Amtsgericht lehnte es jedoch ab, einen solchen Antrag zu erlassen. Die Ermittlungsbehörde wehrte sich mit einer Beschwerde gegen diese Entscheidung. Während Gerhard Strate vom staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt weitere Dokumente auf den Server stellte, hatte nun das Landgericht (LG) der Hansestadt über die Löschung zu befinden.

Die Richter des LG erteilten den Strafverfolgern eine ausführlich begründete Abfuhr. Diese nun ergangene Entscheidung gewinnt unabhängig vom Fall Mollath eine allgemeine Bedeutung für verschiedene Situationen, in denen gehostete Daten Gegenstand eines laufenden Verfahrens sind. Die Hamburger Richter ließen das Löschverlangen der Strafverfolger unter anderem am Begriff des "Gegenstands" scheitern. Einen solchen Gegenstand, der dem Beschuldigten gehören müsste, setzen die Vorschriften voraus. Der Strato-Server aber gehöre nicht dem beschuldigten Anwalt. Die darauf gespeicherten Dateien wiederum seien keine Gegenstände im Sinne der Vorschriften und im übrigen auch nicht per se rechtswidrig. Damit laufe das Ansinnen der Strafverfolger ins Leere: Nach Ansicht des LG kennt die Strafprozessordnung (StPO) keine Vorschrift, die die Beschlagnahme von Daten zum Zweck der Löschung regelt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundesgerichtshof (BGH) hatten in der Vergangenheit entschieden, dass Daten im Zusammenhang mit einer Beschlagnahme gerade doch als "Gegenstände" gelten. Die Hamburger Richter sehen darin nun jedoch keinen Widerspruch zu ihrer Entscheidung: In den besagten Entscheidungen ging es um die Sicherstellung von Beweismitteln. Darauf kam es hier aber nicht an. Weil nämlich Mollaths Anwalt Gerhard Strate seine Handlungen nicht abstreitet, sondern nur rechtlich anders bewertet als die Hamburger Strafverfolger, musste gar kein Tatsachenbeweis geführt werden. Die Strafverfolger wollten vielmehr bloß Daten gelöscht sehen. Dafür – so das LG – waren aber andere Vorschriften anwendbar. Diese Vorschriften hat das Gericht nun in der beschriebenen Weise interpretiert.

Wenn die Beschlagnahmevorschrift in diesem Fall das Löschen von Daten erlauben würde, wären den Hamburger Richtern zufolge auch nicht lediglich die Daten auf dem Webserver davon betroffen, sondern sämtliche Kopien und Versionen im Besitz des beschuldigten Anwalts. Das aber würde das Gericht nach eigener Aussage für unverhältnismäßig und daher für unzulässig halten.

Insbesondere Hostprovider werden es als gute Nachricht empfinden, dass ihnen nach der Lesart des LG Hamburg zumindest in bestimmten Situationen Löschanordnungen der Justiz erspart bleiben. In schwebenden Strafverfahren bleiben die eigentlich ohnehin unbeteiligten Provider nun soweit unbehelligt, wie es um die Beseitigung umstrittener Daten geht. Das bedeutet allerdings nicht, dass nun beispielsweise urheberrechtswidrige, verfassungsfeindliche oder gar kinderpornografische Inhalte möglicherweise für die mehrjährige Dauer eines Verfahrens über mehrere Instanzen hinweg online bleiben dürften. Eindeutig rechtswidrige Inhalte unterliegen auch nach Ansicht der Hamburger Richter einer möglichen Löschanordnung.

(psz)