13.000 Bürger wollen gegen die Vorratsdatenspeicherung klagen

Das Interesse an der geplanten Massenbeschwerde gegen die vom Bundestag beschlossene verdachtsunabhängige Aufzeichnung der Nutzerspuren steigt ­ auch weil Schäuble die Initiative mit einem Hitler-Vergleich ins Aus bugsieren wollte.

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Das Interesse an der geplanten "Massenbeschwerde" in Karlsruhe gegen die vom Bundestag vor einer Woche beschlossene Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten wächst rasant weiter. Bereits mehr als 13.000 besorgte Bürger wollen inzwischen die verdachtsunabhängige Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren vor dem Bundesverfassungsgericht kippen. Dies berichtete der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am heutigen Freitag unter Verweis auf eine entsprechend hohe Zahl an Vollmachten, die bei der Kanzlei Starostik in Berlin eingegangen seien. Der Rechtsanwalt Meinhard Starostik will die Kläger gemeinsam in Karlsruhe vertreten. Seinen Angaben nach hat sich die Zahl der Beschwerdeführer seit der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung fast verdoppelt.

Weitere Interessierte an der Unterstützung der Klage können sich laut dem Arbeitskreis noch bis zum 24. Dezember der Verfassungsbeschwerde "gegen den Angriff auf ihre Privatsphäre" anschließen. Eingereicht werden soll die Klage vermutlich Ende des Jahres, wenn das heftig umstrittene Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist. Von Anrufen in der federführenden Kanzlei bittet der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern derweil abzusehen, da momentan der normale Geschäftsverkehr durch derlei telefonische Nachfragen "lahm gelegt" sei.

Für den großen Zuspruch zu der ungewöhnlichen Massenklage macht der Arbeitskreis auch eine umstrittene Bemerkung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit verantwortlich. "Wir hatten den 'größten Feldherrn aller Zeiten', den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten", bemühte der CDU-Politiker laut einem Zeitungsbericht vergangene Woche einen Hitler-Vergleich. Starostik bleibt nach eigenen Angaben aber gar keine Zeit, um über eine Strafanzeige aufgrund dieser Äußerung nachzudenken: "Ich werde meine ganze Kraft für die Vertretung meiner Mandanten bei der Verfassungsbeschwerde verwenden. Für anderes bleibt kein Raum."

Patrick Breyer vom Arbeitskreis kritisierte zudem scharf die Haltung einiger SPD-Bundestagsabgeordneter, die der Vorratsdatenspeicherung nur mit Bauchschmerzen und dem Hinweis auf angekündigte Verfassungsbeschwerden zugestimmt hatten: "Nach unserem Grundgesetz ist das Parlament an die Grundrechte gebunden. Es ist unglaublich, dass einige Abgeordnete offenbar meinen, für die Einhaltung unserer Grundrechte nicht mehr zuständig zu sein."

Der Vorstand der Deutschen Journalisten-Union in der Gewerkschaft ver.di hat sich derweil dem unter Hochdruck vorbereiteten Gang nach Karlsruhe angeschlossen. Der Informantenschutz werde in eklatanter Weise ausgehöhlt, kritisierte die Arbeitnehmervertretung. Verdeckte Recherchen würden nahezu unmöglich. Die Journalisten-Gewerkschaft rief ihre 25.000 Mitglieder auf, die Verfassungsbeschwerde zu unterzeichnen. Ob die Gewerkschaft als Organisation klagen könne, werde derzeit geprüft.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich zwischenzeitlich erneut gegen den staatlichen "Speicherwahn" ausgesprochen. Dieser könne " wirklich in den Überwachungsstaat führen". Es gehe hier doch darum, dass "ohne konkreten Verdacht, ohne jeden Anlass Daten aller Bürger gespeichert werden". Leutheusser-Schnarrenberger bekräftigte zugleich ihre Absicht, gemeinsam mit FDP-Parteikollegen ebenfalls wegen der Verpflichtung zur Massendatenlagerung vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Die Klage dürfte aber nicht leicht werden, räumte die Rechtexpertin der Liberalen ein, da eine EU-Richtlinie umgesetzt worden sei.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verteidigte unterdessen ihre umstrittene Äußerung zur Erklärung des informationellen Selbstbestimmungsrechts. Dieses besage nur, "dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert", hatte die SPD-Politikerin im Vorfeld der Abstimmung über die Vorratsdatenspeicherung eine eigenwillige Auslegung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts vorgelegt. Inzwischen führte Zypries auf der Plattform Abgeordnetenwatch dazu aus, dass Karlsruhe ein "Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen hergeleitet hat". Dieses sei aber "selbstverständlich nicht schrankenlos gewährleistet". Vielmehr müsse der Einzelne Einschränkungen auf gesetzlicher Grundlage im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen, "wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen". Dies sei bei der Vorratsdatenspeicherung der Fall.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)