Websperren gegen Kinderporno: Zank um Technik und Recht

Techniker aller am Vorhaben zu Websperren beteiligten Parteien verwehren sich gegen den Vorwurf, ein unpraktikables System zu konstruieren. Die Politik greife mit ihren Vorstellungen ungeachtet der Technik ein. Auch juristische Aspekte sind umstritten.

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Von
  • Detlef Borchers

Nachdem der CCC den Vertragsentwurf veröffentlichte, der die Grundlage für das Sperren von kinderpornographischen Angeboten im Internet bilden soll, wird der Entwurf in der Öffentlichkeit diskutiert. Neben der Frage, ob die Strafverfolger des BKA Internetprovider mittels einer Änderung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zur Sperrvorrichtung zwingen können, steht die Frage nach der technischen Wirksamkeit im Vordergrund. Techniker aller am Entwurf beteiligten Parteien, die nicht genannt werden wollen, verwehren sich in Mails an heise online gegen den Vorwurf, ein unpraktikables System zu konstruieren. Vielmehr greife die Politik mit ihren Vorstellungen ungeachtet der Technik ein.

Vier Parteien arbeiten derzeit daran, den von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit aller Macht gewünschten Sperrriegel gegen Kinderpornographie im Internet zu realisieren. Obwohl nach wie vor noch viele Fragen offen sind, zeichnet sich unter den sehr unterschiedlichen Parteien ab, dass das immer wieder vom Familienministerium vorgebrachte Argument "In Norwegen geht's doch auch" alle technischen Vorbehalte aufwiegen muss.

Einen nachhaltigen Eindruck hatte offenbar eine Präsentation (PDF-Datei) der norwegischen Sperre hinterlassen, die zuvor bereits 2007 auf dem Herbsttagung des BKA für Aufsehen sorgte. So geht die Idee einer Stopp-Seite, die von großen Providern wie der Telekom strikt abgelehnt wird, auf das norwegische System zurück. Auch die Obergrenze von 10.000 ausländischen URLs in der Sperrliste (die keine deutschen Adressen enthalten darf, da hier die Strafverfolger sofort aktiv werden müssen) scheint vom norwegischen System zu stammen, das im November 2004 mit 274 URLs an den Start ging, im Mai 2008 insgesamt 5898 URLs umfasste und heute mit ca. 8000 URLs operiert.

Die Ablehnung der Stoppseite bzw. des Stoppservers durch die Provider hat juristische Gründe, weil sie mit der möglichen Speicherung der IP-Adresse verbunden und damit vom deutschen Gesetz verboten ist. In Norwegen erfüllt die Stoppseite damit eine statistische Funktion. So wird etwa festgestellt, wie oft ein einzelner Surfer versucht, indizierte URL aufzurufen. Bei 18.000 Pageviews pro Tag im Mai 2008 reichte die Aufruffrequenz von 1 bis 300 Versuchen pro IP-Adresse.

Entgegen der Kritik von Technikern zu "voll qualifizierten Domainnamen" und der Nichtberücksichtigung von Wildcard-DNS hat sich die Arbeitsgruppe bei den Beratungen über die Sperren sehr wohl mit dem Problem befasst. Hinweise der Provider auf das Problem der Wildcards und der Bots, die über DNS-Abfragen herausfinden können, welche Domainnamen auf Stoppserver umgelenkt werden können, wurden samt und sonders abgeschmettert. Kritik gab es allerdings auch von der Gegenseite an der Einstellung einiger Provider. "Die Provider werden eingeladen und präsentieren nichts anderes als Copy&Paste aus der Wikipedia zur URL. Das heißt doch nur, dass sie sich gar keine Gedanken über das System gemacht haben."

Bei den Providern ergab sich aus dem Ablehnen ihrer Einwände ebenso wie aus den laufenden Verweisen auf das norwegische System der Eindruck, dass es nur darum gehe, einem außenpolitischen Druck typischer Zensurländer wie Australien, Norwegen, Schweden oder Finnland etwas entgegenhalten zu können, bei dem es egal ist, ob es funktioniert. "Hier sollen in aller Eile Barrikaden unter der Flagge Kinderpornos errichtet werden, weil so am wenigsten Widerstand zu erwarten ist und man außerdem die Blondine vorschicken kann, die damit Wahlkampf macht", lautet das Fazit eines Beteiligten gegenüber heise online.

Unbeschadet der technischen Gegensätze, bei denen BKA, Provider und das Familienministerium offenbar nicht aufeinander hören wollen, ist die juristische Seite mit der Regelung über die AGB problematisch. Sie wird gewählt, weil die Verabschiedung eines Sperrgesetztes viel zu lange dauert. Jeder Internet-Provider kann es dabei ablehnen, die AGB zu verändern. Im Sinne der Vertragsfreiheit können weder BKA noch die beteiligten Ministerien einen Provider dazu zwingen, einen "Sperrvertrag" zu unterschreiben. "Laut Vertragsentwurf müssen wir Kunden kündigen, die die AGB-Änderung ablehnen. Wir können schlecht zwei Kundenstämme führen, die mit Sperre und die ohne Sperre", erklärte ein Jurist. Wie andere Kommentatoren seines Faches ist auch er der Meinung, dass die juristische Diskussion um die Einführung von Sperrlisten noch lange nicht beendet ist.

Siehe dazu auch:

(Detlef Borchers) / (jk)