Musikindustrie hegt Hassliebe zum Internet

Online-Piraterie und CD-Schwarzbrennerei vermiesen der deutschen Musikbranche die Visionen vom ansonsten lukrativen digitalen Zeitalter.

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Die Musikbranche in Deutschland sieht die Möglichkeiten der digitalen Verbreitung von Sound per Internet mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wie Thomas Stein, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft, am heutigen 4. Mai 2000 in Hamburg sagte, bietet das Online-Medium "Chancen und Risiken zugleich". Immerhin gehört Musik nach Steins Worten "zu den wenigen Gütern, die sich über das Internet nicht nur bestellen, sondern auch liefern lassen". Dieser Umstand lässt die Vertriebskosten – die ansonsten einen beträchtlichen Anteil der Gesamtkosten ausmachen – auf ein Minimum schrumpfen. Noch fehle ein geeigneter rechtlicher Rahmen für die Vermarktung von Musik über das Internet; die dafür entscheidende EU-Richtlinie werde immer noch kontrovers debattiert.

Klar scheint zu sein, dass das internationale Datennetz die Musikbranche weltweit umkrempeln wird. Die Freizügigkeit, die das Netz mit sich bringt, hat allerdings nicht nur geschäftsfördernden Charakter. So soll Online-Piraterie der Musikindustrie im Jahr 1999 nach Verbandsangaben einen Schaden in Höhe von rund 140 Millionen Mark beschert haben. Mark Peter Zombik, Geschäftsführer des Verbands, ist denn auch wegen der wachsenden Zahl illegaler Musik-Downloads besorgt. Er kündigt als Reaktion ein Paket von rechtlichen und technischen Maßnahmen an, mit denen die Musikindustrie die befürchtete Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz abwenden will. So sieht er etwa im "Right Protection System" (RPS), einem elektronischen Verfahren, das den Zugriff auf "schwarze Server" bereits auf Providerebene verhindern soll, ein geeignetes Mittel zum Eindämmen des Online-Piratentums. Wie er betont, gehe es dem Verband dabei nicht um Zensur. Im Gegenteil solle jeder die produzierte Musik hören können – "aber legal", was bedeutet, der Konsument soll auch dafür bezahlen.

Nicht nur das Internet bereitet den Managern der Musikindustrie Kopfzerbrechen. Auch die wachsende Verbreitung von CD-Brennern als PC-Zubehör schmälert nach Ansicht der Branche die Umsätze erheblich. Bernd Depp, der Geschäftsführer von WEA Records, rechnet vor, dass bereits jetzt auf jede dritte verkaufte CD eine selbst gebrannte komme. Fünfzig Prozent der verkauften CD/R-Rohlinge würden zum Speichern von Musik genutzt. Das wiederum führe dazu, dass die Musiklabels unter Finazdruck gerieten und es sich kaum noch eine Firma leisten könne, eher risikoträchtige Projekte abseits des Mainstream in Angriff zu nehmen. Auf diese Weise bedrohe der Trend zur "Schwarzbrennerei" die Musikkultur als Ganze.

Bei all dem scheinen aber die Umsätze der Musikunternehmen im vergangenen Jahr nicht nennenswert zurückgegangen zu sein. Die Branche meldete Einbußen von rund drei Prozent. Rund 272,6 Millionen Tonträger gingen nach Verbandsangaben für insgesamt zirka 4,89 Milliarden Mark über die Ladentische. (psz)