NSA-Affäre: Geheimdienst analysiert umfassend soziale Beziehungen

Die NSA erstellt aus ihren Datenbergen soziale Graphen, die ein umfassendes Portrait des Individuums zeigen. U.a. dafür sammelt der US-Geheimdienst täglich mehrere Milliarden Verbindungsdaten und reichert sie mit öffentlichen zugänglichen Daten an.

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Die NSA erstellt mithilfe ihrer gigantischen Datensammlungen ausgeklügelte Übersichten über die sozialen Verbindungen – nicht nur von Ausländern, sondern auch von US-Amerikanern. Das geht aus weiteren Dokumenten des NSA-Whistleblowers Edward Snowden hervor, berichtet die New York Times. Demnach wurden 2010 großangelegte Analysen derartiger sozialer Graphen erlaubt, ohne dass jeweils einzeln überprüft werden muss, ob eine darin einbezogene E-Mail-Adresse, Telefonnummer oder ein anderer Identifikator von einem US-Bürger stammt. Das war vorher nicht erlaubt, da US-Bürger eigentlich vor staatlicher Überwachung geschützt sein sollen.

Die Zeitung geht vor allem darauf ein, wie der Geheimdienst durch diese Praxis US-Bürger intensiv überwachen kann. Gleichzeitig zeigen die Enthüllungen aber, welch unkontrollierter Überwachung Nicht-Amerikaner ausgeliefert sind. Zur Aufschlüsselung der sozialen Verbindungen können demnach gesammelte Verbindungsdaten um Material aus öffentlichen, kommerziellen und anderen Quellen "angereichert" werden. Das umfasse etwa Bankleitzahlen, Versicherungsinformationen, Facebook-Profile, Passagierdaten, Einträgen in Wählerverzeichnissen, GPS-Ortungsdaten, Aufzeichnungen zu Immobilien sowie Steuerdaten. Aus den Dokumenten gehe nicht hervor, dass es bei diesen "Anreicherungen" irgendwelche Einschränkungen gibt.

NSA-Darstellung der Analyse von Metadaten

(Bild: New York Times)

Ein als streng geheim klassifiziertes Dokument erkläre, dass die NSA nach insgesamt 94 Einheiten ("entity types") sucht, also etwa Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen. Außerdem würden 164 Verknüpfungsarten zueinander in Beziehung gesetzt, etwa "verreist mit", "hat den Vater", "schrieb Nachricht im Forum" oder "beschäftigt". Die solcherart erstellten Übersichten geben demnach einen einen umfassenden Blick auf das Leben eines Individuums. Das Portrait sei wahrscheinlich kompletter und ermögliche genauere Verhaltensprognosen, als ein Abhören oder Mitlesen, so Experten.

Auch ein dazugehöriges Programm und bislang nicht bekannte Zahlen nennt die New York Times. Eines der Hauptwerkzeuge mit dem Telefonnummern und E-Mail-Adressen verkettet werden, heiße Mainway. Es nehme große Mengen an Daten auf, die aus angezapften Unterseekabeln, von kooperierenden Unternehmen oder aus gehackten Netzwerken stammen. Beispielsweise sammelte Mainway im Jahr 2011 täglich 700 Millionen Telefonverbindungsdaten. Im August 2011 seien pro Tag weitere 1,1 Milliarden Mobilfunkverbindungsdaten eines ungenannten US-Providers hinzugekommen. Zwei Jahre später arbeite der Geheimdienst nun daran, täglich 20 Milliarden Verbindungsdaten verarbeiten und den Analysten innerhalb von 60 Minuten zur Verfügung stellen zu können.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Darüber hinaus gebe die NSA gerade 394 Millionen US-Dollar für ein sogenanntes "Enterprise Knowledge System" aus. Dabei gehe es darum "in diversen Datenquellen von massivem Ausmaß schnell komplexe Beziehungen sowie Muster zu entdecken und zuzuordnen" zu können. Daten würden automatisch ausgewertet, um Abfragen zu beschleunigen und neue Überwachungsziele zu finden.

Zwar habe die NSA nicht erklärt, welche Datenbank mit Verbindungsdaten für die Erstellung der sozialen Diagramme genutzt wird, aber die Anfang Juni enthüllte Sammlung inländischer Telefondaten sei ausgeschlossen. Gleichwohl gebe es eine Vielzahl solcher Sammlungen und die Analyse beruhe sowohl auf inländischen als auch ausländischen Verbindungsdaten, erklärten Geheimdienstler gegenüber der Zeitung. Die von der NSA gesammelten Daten von US-Bürgern, die sowohl Verbindungsdaten als auch Inhalte umfassen, dürfen der Zeitung zufolge fünf Jahre "online" und danach weitere zehn Jahre lang "offline" aufbewahrt werden – für "historische Suchen".

Seit 1999 habe die NSA versucht, die Erstellung sozialer Diagramme ohne Rücksicht auf den Datenschutz von US-Bürgern durchführen zu können. Nachdem das Oberste US-Gericht erklärt hatte, Verbindungsdaten seien nicht durch die US-Verfassung geschützt, habe die Bush-Regierung 2008 der Ausweitung der Kompetenzen zugestimmt. Vor der Einführung 2010 folgte dann ein Pilotprojekt. In einem Memo aus dem Jahr 2011 sei NSA-Analysten dann mitgeteilt worden, sie könnten Kontakte von US-Amerikanern verfolgen, solange sie dies mit Auslandsüberwachung begründen würden. Das beziehe sich auf Kontakte zu Terroristen, Waffenhandel, internationalen Droggenschmuggel, aber auch das Ausspionieren von Gesprächen ausländischer Politiker, Personen aus der Wirtschaft oder Aktivisten. (mho)