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Spieleentwickler: Mehr Kreativität als Kettensägenmassaker, bitte!

Während sich schwitzende Männer am testosterontriefenden "Gears of War 2" erfreuten, beklagten andere den Verlust der Kreativität in Videospielen und vergaßen dabei ganz, dass inzwischen auch Frauen zu Computernutzerinnen geworden sind, die gerne spielen.

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Es roch nach Männerschweiß im gesteckt vollen Saal der Leipziger Messe, als Michael Capps, der Präsident von Epic Games, sein Testosteron-Spektakel "Gears of War 2" vorstellte. "Bigger, better, more" sei die Devise des Spiels. Man habe Massenszenen mit Monstern, zerbröckelnde Betonpfeiler, die nicht mehr ewig Deckung geben, KI-gesteuerte Bots für Multiplayer-Partien, Monster-Trucks, Kettensägenduelle und eine "dynamische Deckung", wie Capps sie nennt. Der Spieler kann gegnerische Monster als Deckung vor sich hertragen, bis sie im Kugelhagel zerfetzt werden. In Deutschland wird der Titel, der am 7. November veröffentlicht wird, deshalb genau wie sein Vorgänger nicht auf den Markt kommen. Capps ist das egal, der Titel wird sich dafür im Rest der Welt umso besser verkaufen. Ein Film sei ebenfalls in Planung.

Doch es sind nicht die Gewaltdarstellungen, die Steve Meretzky von Blue Fang Games aufschreien ließen, als er zwei Stunden später auf derselben Konferenz eine "Kultur der Innovation" einforderte. Meretzky kritisiert, dass in den vergangenen Jahren kaum noch neue Genres entwickelt wurden. Es gebe zwar viele technische, aber kaum kreative Innovationen. In 90 Prozent der Spiele ginge es immer nur ums Töten. Das sei langweilig. Dagegen gebe es doch so viele andere Dinge, die Spaß und das Leben lebenswert machen. Allein wenn er sich Brettspiele im Unterschied zu Videospielen anschaue, könne er dort in wesentlich mehr Rollen schlüpfen als auf dem Bildschirm, wo er mehr oder minder nur die Wahl zwischen einem Soldaten und Fantasy-Krieger habe.

Meretsky macht für die Ideenarmut die immer größeren Budgets und die Konsolidierung der Publisher zu großen, börsennotierten Unternehmen verantwortlich. Doch deren Manager handelten kurzsichtig, wenn sie immer nur neue Aufgüsse erprobter Konzepte verkaufen. Stattdessen sollten Publisher von Zeit zu Zeit neuartige, risikoreiche Titel auf den Markt werfen. Als Beispiele, dass sich solche Experimente auch wirtschaftlich auszahlen, nannte Meretzky Nintendos Wii und "Die Sims" von Elektronic Arts. Die digitale Distribution eröffne neue Möglichkeiten für Independent-Entwickler, deren Spiele es sonst nicht in die Verkaufsregale schaffen würden. Als Beispiele nannte Meretsky "Portal", das Valve Software zusammen mit "Half-Life 2 Orange Box" verkaufte, oder auch "Braid" des Independent-Entwicklers Jonathan Blow, das jüngst auf Xbox Live mit großem Erfolg startete.

Doch es geht nicht überall ums Töten, wie Meretzky behauptet. Denn die Industrie hat längst Frauen als neue Zielgruppe entdeckt, und die können mit martialischen Shootern wahrlich wenig anfangen. Auf einer Podiumsdiskussion in Leipzig präsentierten Hersteller von auf Frauen fokussierten Casual Games wie Legacy Interactive oder Rebel Monkey beeindruckende Verkaufszahlen. Besonders beliebt bei Mädchen sei Nintendos Taschenkonsole DS. In den USA waren im Juni 29 der 50 am meisten verkauften DS-Spiele Titel, die sich vornehmlich an ein weibliches Publikum richteten, darunter Haustier- und Lebenssimulationen, Musikspiele und Puzzles. Publisher Ubisoft erwirtschafte inzwischen ein Drittel seines Umsatzes mit Titeln wie "Petz". Dass die Spieleindustrie dennoch weiterhin am Makel zu knabbern hat, vornehmlich eine Unterhaltungsindustrie für Männer zu sein, verraten selbst die Äußerungen der auf dem Podium versammelten Entwicklerinnen, wenn sie Spiele bereits als explizite Frauentitel bezeichnen, wenn 51 Prozent ihrer Käufer weiblich sind.

Bei den Casual-Online-Spielen seien es in Deutschland vor allem die 36- bis 55-jährigen Frauen, die sich bei Solitär, Bejeweled und Krimi-Adventuren vergnügten, erklärte Ariella Lehrer von Legacy Interactive. Während die Baby-Simulation "Imagine Babyz" von Ubisoft in den USA vor allem von Frauen ab 35 gekauft werde, falle der Titel bei deutschen Frauen unten durch. Lehrer vermutet die unterschiedlichen Lebenskonzepte als möglichen Grund. In den USA bekämen Frauen mit 20 ihre Kinder und sehnten sich mit 35 bereits wieder nach der Bemutterung eines Säuglings. In Deutschland seien Frauen hingegen oft jenseits der 30, wenn sie ihre ersten Kinder kriegen, "dann wollen sie sich nicht noch in ihrer spärlichen Freizeit mit der Nachwuchspflege beschäftigen." Man müsse Frauen also sehr genau kennen, um die richtigen Spiele für sie zu produzieren. Männlichen Entwicklern fehle es dafür häufig am notwendigen Gespür. (hag)