Im Krankenhauslabor

Ein US-Gesundheitskonzern hat in Kalifornien eine Versuchsanstalt eingerichtet, in der echte Ärzte und Pfleger an Dummies proben, wie Abläufe optimiert und verbessert werden können.

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Von
  • Tom Simonite

Ein US-Gesundheitskonzern hat in Kalifornien eine Versuchsanstalt eingerichtet, in der echte Ärzte und Pfleger an Dummies proben, wie Abläufe optimiert und verbessert werden können.

37 Krankenhäuser betreibt der Gesundheitskonzern Kaiser Permanente in den gesamten USA – und beschäftigt dort über 160.000 Angestellte. Sieht man in einem der Spitäler eine Krankenschwester, die gerade Medikamente vorbereitet, trägt sie stets eine Schärpe aus fluoreszierendem Stoff an ihrem Körper. Diese hat eine ganz bestimmte Bedeutung – sie zeigt anderen Menschen, dass die Frau gerade jetzt nicht gestört werden darf.

Kaiser-Forscher erfanden das durchaus modische Accessoire schon vor einigen Jahren, als sie nach einer Methode fahndeten, Fehlmedikationen zu unterbinden. Mehr als eine Million Mal kommt es allein in Nordamerika jedes Jahr dazu, dass Wirkstoffe falsch zugeordnet und schließlich verabreicht werden. Hauptgrund dafür ist, dass das zuständige Personal parallel mit anderen Dingen beschäftigt war oder sich ablenken lässt.

Entwickelt wurde die Lösung im Garfield Innovation Center (GIC) im kalifornischen San Leandro, wohin Kaiser Mitarbeiter regelmäßig einlädt, damit sie von ihren Erfahrungen berichten. Einer der Beteiligten schlug vor, ein Papierschild am Kopf zu befestigen, ein anderer nutzte ein Klebeband, um ein blinkendes Smartphone an seiner Uniform anzubringen. Schließlich kam man auf die Idee mit der Schärpe. Ergebnis: Die Fehlerquote sank seither um 85 Prozent.

Die meisten Untersuchungen am GIC drehen sich um neue Technik, die Kaiser Permanente erprobt, doch Sean Chai, Direktor für Innovation und Technologie bei dem Gesundheitskonzern, meint, die Geschichte rund um die simple Warn-Schärpe zeige, worum es eigentlich geht. Dramatische Verbesserungen seien auch in Bereichen möglich, die zunächst wenig "sexy" wirkten – etwa in der Logistik dieser landesweit größten und komplexesten Industrie der USA. Berechnungen besagen, dass dort Jahr für Jahr 750 Milliarden Dollar versickern – ungefähr 30 Cent jedes ausgegebenen Dollars werden verschwendet. Im letzten Jahr ermittelte das nationale Institute of Medicine, dass vor allem das ineffiziente Tagesgeschäft dazu beiträgt. Veränderungen, die am GIC getestet werden, könnten Abhilfe schaffen.

Das knapp 3500 Quadratmeter große Zentrum ist einzigartig in den Vereinigten Staaten. Es enthält genaue Nachbildungen von Krankenzimmern inklusive realitätsnaher Patientendaten, die sich auf Rechnern am Bettrand befinden. Ein Operationssaal mit Instrumenten, die tatsächlich eingesetzt werden können, ist ebenso vorhanden wie eine Intensivstation mit Kunststoffdummies in einem Inkubator.

Chai zufolge kommen einige der Vorschläge, was hier getestet werden könnte, aus bereits publizierten Studien. Außerdem existiert ein Team aus Sozialwissenschaftlern, vom Lager bis zur Chirurgieabteilung alle Bereiche der Kaiser-Krankenhäuser durchgehen, um auf Probleme am Arbeitsplatz zu stoßen. Nicht selten lässt sich der Gesundheitskonzern aber auch neue Technik von Lieferanten vorführen.

Oft seien die Firmen überrascht, wenn sie ihre Innenraum-Navigationssysteme oder interaktiven Patientendatenbanken gleich im GIC installieren müssten, sagt Chai. Ob dann gekauft wird, hängt von Versuchsreihen ab, die hier vorgenommen werden. Geschaut wird beispielsweise, ob sich tatsächlich Zeitersparnisse ergeben und Bewegungsabläufe vereinfacht werden. Zudem dürfen Kaiser-Mitarbeiter potenzielle Neuanschaffungen bewerten – vom Chirurgen bis zum Hausmeister, die dann ins GIC eingeladen werden, um ihren tagtäglichen Job nachzuspielen.

Ein grundlegendes Problem bleibt, dass sich hoch qualifiziertes und gut bezahltes Medizinpersonal häufig um niedere Tätigkeiten kümmern muss, die viel Zeit kosten. Eine Studie an einem Krankenhaus im US-Bundesstaat Georgia fand heraus, dass Krankenschwestern und Pfleger ein Viertel ihrer 12-Stunden-Schicht mit Papierkram und dem Laufen zwischen Lagerraum und Station verbringen. Parallel wächst der Sektor enorm: Von 2001 und Ende 2012 nahm die Zahl der Jobs im Gesundheitsbereich in den USA um 28 Prozent zu.

Das führt dazu, dass viele Krankenhäuser ihr Geld zunehmend in Automation stecken. Ken King, Verwaltungschef am El Camino Hospital, das in Mountain View und Los Altos beheimatet ist, erzählt, er habe seit 2009 allein 19 Roboter auf Rädern beschafft, die nun Müll, Lebensmittel und andere Ladung durch die Flure befördern. Die Geräte ersetzen insgesamt 12,5 Vollzeitstellen. "Die jährlichen Betriebskosten für jeden Roboter lagen zum Kaufzeitpunkt bei rund 52 Prozent dessen, was wir unseren am schlechtesten verdienenden Arbeitern zahlen. Die Löhne sind gestiegen, die Kosten für die Roboter nicht."

Bei Kaiser hat man laut Innovationschef Chai am meisten da gespart, wo man sich gegen eine Neuanschaffung aussprach. So testete das GIC verschiedene mobile Arzneimittelwagen, die dem Pflegepersonal lange Wege zu Lagerregalen ersparen sollten. Ein eingebauter Computer erfasst dabei alle enthaltenen Medikamente und kontrollierte den Zugriff mit einem biometrischen Schloss. Doch nach zwei Tagen und einigen Kilometern in den Fluren der Versuchsanstalt zeigte sich, dass die Wagen viel zu schwer waren.

Im letzten Jahr kam dann ein Manager eines Gesundheitskonzerns aus dem Mittleren Westen im GIC vorbei und musste sich dieses Ergebnis anhören. Lachen konnte er darüber nicht. "Seine Firma hatte Hunderte dieser Wagen gekauft und dann Millionen Dollar investiert, um sie beweglicher zu machen", grinst Chai. (bsc)