Kommentar: Die Überwachung durch NSA & Co. gefährdet die Demokratie

Die Affäre um die weltweite Überwachung durch westliche Geheimdienste ist nicht beendet, tatsächlich hat eine angemessene Auseinandersetzung damit nicht einmal begonnen. Dabei stellen die Programme eine massive Gefahr für die Demokratie dar.

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Auch wenn Kanzleramtsminister Pofalla das wohl auch heute noch anders sieht: Die Affäre um die totale Überwachung der weltweiten Kommunikation durch westliche Geheimdienste ist keineswegs beendet. Und nein, Frau Bundeskanzlerin, es reicht jetzt eben nicht, den Bürgern zu erklären, wie sie ihre E-Mails verschlüsseln. Einen effektiven Schutz für den Einzelnen gibt es nicht. Gefragt ist mehr Transparenz bezüglich deutscher Geheimdienste und eine entschiedene Abwehr der Spitzelmaßnahmen der USA und anderer Alliierter. Denn deren Überwachung gefährdet unsere Demokratie.

Nach Beginn der Enthüllungen, als rund um PRISM neben der NSA noch große Internet-Dienste im Fokus der Affäre standen, zogen sich die ersten aus Facebook zurück. Andere wechselten zu alternativen Suchmaschinen, um Google weniger über sich zu verraten. Doch das hilft rein gar nichts gegen die obsessive Datensammelwut der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Schwedens, Kanadas und auch der deutschen Dienste.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Man muss davon ausgehen, dass sich Geheimdienste alles krallen, was sie in ihre Datenbanken bekommen. Ob legal, halblegal oder illegal ist angesichts der geringen gesetzlichen Einschränkungen unerheblich. Dass dabei die Inhalte offenbar größtenteils nicht ausgewertet werden, mag nicht beruhigen. Immerhin kann allein aus den restlichen Informationen ein umfangreiches Profil erstellt werden, das viel, wenn nicht alles verrät. Wer Zugriff auf Bankdaten, Versicherungsinformationen, Passagierdaten, Steuerdaten, besuchte Internetseiten, Anrufs- und E-Mail-Listen sowie Chatkontakte hat, muss doch gar kein Facebook-Profil mehr sehen. Irgendwo in diesen Daten findet sich noch über jeden Bewohner eines Industrielandes etwas, selbst wenn er 80 Jahre alt ist und das Internet nur aus der Tagesschau kennt.

Aber statt Hunderttausenden auf der Straße hat sich eine gewisse Ermüdung eingestellt. Merkel und Pofalla haben die Affäre mehr oder weniger mit einem Schulterzucken abgetan und so mögen viele – ob bewusst oder unbewusst – denken, wenn die Zuständigen nichts tun, wird es nicht so schlimm sein. Wenn sich diese Haltung aber durchsetzt, dann wäre dies fatal für unser Freiheitsverständnis und den Fortbestand unserer Demokratie.

Unsere Gesellschaft lebt davon, dass es Rückzugsräume gibt, in denen Menschen frei reden und sich austauschen können. Nur so entstehen neue Ideen und Visionen, die später das Land und vielleicht sogar die Welt verbessern. Man denke an die Frauenrechtsbewegung, die 68er oder die Umweltbewegung. In einer total überwachten Welt könnten derartige Bewegungen im Keim erstickt werden, ohne dass die Gesellschaft das mitbekommt. Etwa wenn die umfangreichen Informationen der Geheimdienste in die falschen Hände geraten oder wenn die Dienste selbst sie zu nutzen trachten. Womöglich tun sie das sogar bereits, ohne dass wir das wissen.

Gerade deswegen ist dieses Überwachungsnetz eine fundamentale Gefahr. Es ist offensichtlich nicht mehr im Aufbau, sondern funktioniert bereits gut. Wir sind somit längst auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der geheime Institutionen festlegen, was angemessenes Verhalten ist. Alles andere wird überwacht, kontrolliert und am Ende verfolgt. Wer dem entgehen will, zensiert sich selbst – ohne zu wissen, was den Geheimdienstlern wirklich verdächtig scheint. Ein demokratischer Prozess über die Richtung, in die unsere Gesellschaft gehen will, ist dann nicht mehr möglich. (Martin Holland) / (mho)