Schäuble: Informationsgesellschaft ist auch "Basis des Verbrechens"

Der Bundesinnenminister hat in einer Rede über die "Sicherheit im Verfassungsstaat" die Globalisierung kritisiert und sich erneut vehement gegen "Rückzugsräume" für Kriminelle in der digitalen Welt sowie für Online-Durchsuchungen ausgesprochen.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat in einer jetzt veröffentlichten Rede vor der Justizpressekonferenz in Karlsruhe seine Vorstellungen über die "Sicherheit im Verfassungsstaat" erläutert. Dabei hat er insbesondere die Globalisierung sowie die Virtualisierung von Kommunikationsnetzen kritisiert, die ihm zufolge negative Auswirkungen auf das Gemeinwohl und das Sozialgefüge haben: "Die weltweite immer dichtere Vernetzung durch moderne Kommunikations- und Transportsysteme, die massenhafte, weltumspannende Individualkommunikation, der elektronische Austausch von Gütern und Dienstleistungen, die Mobilität der Menschen, die Virtualität und Ortlosigkeit ganzer Unternehmen, bereiten dem Staat erhebliche Probleme." Besondere Sorgen bereite ihm angesichts dieser neuen Unübersichtlichkeit, dass offene Grenzen und das Internet natürlich von Kriminellen "intensiv genutzt" würden.

"Die globale Informationsgesellschaft ist eben auch die Basis des Verbrechens", fasste der CDU-Politiker seine Einschätzung der Veränderungen durch Telekommunikation und Computer zusammen. Deswegen dürfe der demokratische Rechtsstaat – was die Nutzung und Kontrolle der Informationstechnologie betrifft – "den Wettkampf mit den Gefährdern nicht verweigern". Er müsse insoweit vor allem weiter darauf achten, dass im virtuellen Raum "keine Rückzugsräume" für Kriminelle entstehen. "Deswegen werde ich mich weiter für die Online-Durchsuchung einsetzen", gelobte der Christdemokrat. "Wir geben den Rechtsstaat eher auf, wenn wir zulassen, dass der Staat und sein Recht in der globalisierten Internet-Gesellschaft an Boden verlieren, als – wie dies vielfach beschworen wird – durch die Einführung neuer, dem technischen Fortschritt geschuldeter Ermittlungsinstrumente." Die Möglichkeiten der klassischen Telekommunikationsüberwachung würden für die Kontrolle von Verbrechern und Terroristen im 21. Jahrhunderts nicht mehr ausreichen.

Schäuble beließ es nicht bei der seit Jahrhunderten üblichen Schelte an der Einführung neuer Medien. Vielmehr holte der Minister weiter aus und versuchte Begründungen für eine Reihe seiner umstrittenen Äußerungen etwa zur Abschaffung der Unschuldsvermutung und zur Notwendigkeit eines präventiven Sicherheitsstaates zu liefern. "Unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit bedrohen grundsätzlich nur nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit", wies Schäuble jegliche Verdachtsmomente gegen das Aufkommen neuer Diktaturen in Westeuropa von sich. Auch die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit seien dabei "weit mehr von nichtstaatlicher Gewalt bedroht als durch den Rechtsstaat".

Wiederholt suchte der Minister seinen Zuhörern zu verdeutlichen, dass nicht die Auswirkungen von Überwachung zu fürchten sei, sondern deren Anlass. Vor allem die terroristische Bedrohung gefährdet Schäuble zufolge die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Bevölkerung unmittelbar. "Wenn etwa in der Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Räume die gefühlte – und damit auch reale – Verkürzung der individuellen Freiheit geltend gemacht wird, so ist ebenso an die reale Verkürzung individueller Freiräume zu erinnern, die aus unsicherer und bedrohter persönlicher Sicherheit im öffentlichen Raum erwächst." Ein "Maximum an informationeller Selbstbestimmung" nützte eben nichts, "wenn uns dadurch die Freiheit genommen wird, uns sicher zu bewegen".

Schäuble bemühte sich auch, den aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Fall des Scannens von Kfz-Kennzeichen mit dieser Logik und einer dazu aufgeworfenen Frage zu verteidigen. "Ist die Freiheitsverkürzung, die in einer automatischen Ablesung von Autokennzeichen und dem sofortigen Abgleich mit der Fahndungsdatei gestohlener Autos liegt, wirklich relevant im Vergleich zur Freiheitsverkürzung, die mit der Gefahr häufig unaufgeklärter und damit sanktionsloser Autodiebstähle verbunden ist?" Welchem Freiheitsideal entspreche es, wenn die Bürger ein Gefühl staatlicher Ohnmacht haben müssten, und sie sich nur im Wege des Selbstschutzes etwa mit immer aufwendigeren Alarmanlagen oder gar "gated communities" wehren könnten? Schon bei der Zusammenführung "banaler Daten" würden schwerwiegende Freiheitsverkürzungen gemutmaßt, monierte der Minister. "Der chilling effect einer allgemeinen Bedrohungslage oder sehr konkreter Unsicherheit wird dabei oft ignoriert."

Erneut brachte Schäuble ferner seine Überzeugung zum Ausdruck, dass "nationale Rechtsordnungen wie internationales Recht den neuen Formen der Bedrohung im Grunde nicht mehr ausreichend gerecht werden". Beispielsweise entspreche die strikte Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und im Krieg den neuen Gefährdungen nicht mehr. Und auch die Einordnung von Terroristen in das System des humanitären Völkerrechts, das von der "Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten" ausgeht, bereite Schwierigkeiten. Dem Gesetzgeber müsse insgesamt der notwendige Spielraum verbleiben, seine rechtstaatlichen Aufgaben und insbesondere die Gewährleistung von Sicherheit wahrzunehmen.

Internationale Proteste bei IT-Sicherheitsexperten hat derweil die Nachricht ausgelöst, dass Schäuble den Stopp des Entwicklungsprojekts für den so genannten Bundestrojaner beim Bundeskriminalamt gerade wieder aufgehoben hat. Die in Sydney beheimatete Security-Firma Tier-3 warnt aktuell vor nicht kontrollierbaren Kollateralschäden der heimlichen Online-Durchsuchung. Da die eingesetzten Trojaner sicherlich mithilfe von harmlos aussehenden E-Mails auf die Rechner von Zielpersonen gespielt werden sollten, würden sie eine "schwerwiegende Bedrohung der IT-Sicherheit" darstellen. Schließlich könnten sie rasch in die falschen Hände fallen und dann zu echter Schadsoftware umgewandelt werden. Eine solche Umgestaltung sei permanent zu beobachten. Schutz böten dann aufgrund des voraussichtlich speziellen Zuschnitts der deutschen Überwachungswerkzeuge wohl nur Sicherheitslösungen, die PC-Schädlinge anhand von Verhaltensauffälligkeiten enttarnen könnten.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)