EU-Grenzüberwachungssystem Eurosur: Orwell lässt grüßen

Grüne, Linke und Piraten kritisieren das vom EU-Parlament abgesegnete Überwachungsprojekt für den Mittelmeerraum: Es trage nichts zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen beitrage.

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Grüne, Linke und Piraten kritisieren das geplante EU-Grenzüberwachungssystem Eurosur für den Mittelmeerraum, da es nichts zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen beitrage. Es werde ein Überwachungsapparat Orwellschen Ausmaßes an den südlichen Außengrenzen Europas erprobt, dessen Kosten rasch aus dem Ruder laufen könnten. Mit 479 zu 101 Stimmen bei 20 Enthaltungen hat das EU-Parlament das Projekt am Donnerstag abgesegnet.

Mit neuer Technik wie Drohnen, Sensoren und Satellitensuchsystemen sollen die Anrainerstaaten künftig das Mittelmeer ständig im Blick haben. Vor allem geht es darum, illegale Migration und grenzüberschreitende Kriminalität wie Drogen- oder Menschenhandel zu verhindern. Das System soll den "Informationsaustausch" über neue nationale Koordinationszentren verbessern und mit der Grenzschutzagentur Frontex in Polen vernetzt werden.

Nicht nur im Blick der jüngsten Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa, nach der über 270 Leichen geborgen wurden, haben die Volksvertreter eine Klausel zur Seenotrettung durch eine "beträchtlich verbesserte Reaktionsfähigkeit der Mitgliedsstaaten" eingefügt. Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, meint: "Mit Eurosur sollen Flüchtlingsboote in Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Libyen abgefangen werden, ehe sie die europäischen Gewässer überhaupt erreichen." Damit werde ihnen ihr Recht auf Asyl verwehrt.

Grüne und Linke hatten Änderungsanträge eingebracht, die das System in ein Rettungsprogramm umwandeln sollten. Damit konnten sie sich aber nicht durchsetzen. Eurosur sei unnötig wie ein Kropf, moniert Cornelia Ernst von der Linksfraktion. Es gebe bereits mehr als genug Überwachung an den europäischen Außengrenzen. Frontex wollen die Linken ebenfalls abschaffen. Die Piratenpartei Deutschland forderte einen sofortigen Stopp des Projekts, das "eine finanzielle, technische, menschenrechtliche und politische Katastrophe" darstelle.

Innenkommissarin Cecilia Malmström begrüßte neben konservativen und sozialdemokratischen Abgeordneten das Votum, da Eurosur so noch vor Jahresende in die operative Phase gehen könne. Das System werde "einen entscheidenden Beitrag zum Schutz unserer Außengrenzen und zur Rettung jener leisten, die sich selbst in Gefahr begeben, um an die Küsten Europas zu gelangen". Malmström betonte, dass die Grundrechte uneingeschränkt geachtet und das Gebot der Nichtzurückweisung eingehalten werde. Nationale und europäische Datenschutzbestimmungen würden "in vollem Umfang gewahrt". Diese Garantien gälten auch "bei unserer Zusammenarbeit mit Drittländern". Ganz ausgeschlossen wird ein solcher Datentransfer aber nicht.

In einer von der Heinrich-Böll-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie werden die Kosten für den Aufbau von Eurosur auf gut 874 Millionen Euro geschätzt, auch wenn die EU-Kommission zunächst nur 339 Millionen einplant habe. Das Geld werde aber voraussichtlich verplempert, da vergleichbare Großprojekten wie der "virtuelle Zaun" der USA an der Grenze zu Mexiko an der Komplexität gescheitert seien. Mit dem Einsatz von Drohnen und anderen luftgestützten Kontrollmechanismen würden zudem viele persönliche Informationen erfasst, das Projekt enthalte aber kein detailliertes Datenschutzkonzept. (anw)