Schön entrümpeltes Netz - TeraStream, oder: das Internet 2020

Mit etwas Pech droht Telekom-Kunden der baldige Abschied der Dual-Stack-Technik für IPv4 und IPv6 zu Gunsten des ungeliebten DS-Lite. Im Zukunftsszenario der Telekom macht sich das Ansinnen aber recht gut.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Dusan Zivadinovic

Ein einfaches, billiges und schnelles Netz fürs Jahr 2020 hatte die Deutsche Telekom in Auftrag gegeben. Netzwerk-Guru Peter Löthberg hat dafür die berüchtigten Middle-Boxes, die beispielsweise IP-Header-Inhalte gelegentlich unerwünschtermaßen befrickeln, und einen ganzen Sack Protokolle entrümpelt (PDF-Datei). Das nun in Kroatien in Betrieb genommene TeraStream-Netz kommt mit IPv6 only, ohne Transportprotokolle, Loadbalancer oder Firewalls aus. Vom Nutzer bis zu den aus der eigenen Cloud angebotenen Diensten ist es nur zwei Server weit. Bei der Vorstellung auf dem 67. RIPE-Treffen in Athen erntete TeraStream viel Applaus. Das fast einhellige Urteil: So oder doch so ähnlich könnte das Netz der Zukunft aussehen.

Löthberg brauchte für den Aufbau von TeraStream keine neuen Protokolle und keine teure Hardware. Stattdessen reduzierte er die Komplexität: Ein drastisch vereinfachtes IP-Netz, die Integration von IP- und optischem Layer und das Angebot von Diensten aus der eigenen Cloud sind die drei in Kroatien realisierten Kernstücke des Konzepts.

Ein einfaches und schnelles Netz fürs Jahr 2020 wollte die Deutsche Telekom. Peter Löthberg hat dafür die berüchtigten Middle-Boxen und einen ganzen Sack Protokolle entrümpelt.

Als erstes rausgeworfen hat Löthberg IPv4. Statt der Übergangsarchitektur "Dual Stack" setzt TeraStream allein auf IPv6 und IPv4 schrumpft zum Kundenservice auf DS-Lite-Grundlage. Welche Nachteile das heute haben kann, da IPv4 noch vorherrscht, davon wissen Kabelanschluss-Teilnehmer ein Lied zu singen. Im Jahr 2020 hoffte man jedoch, IPv6 so weit etabliert zu haben, dass IPv4 und damit DS-Lite nur noch in Ausnahmefällen erforderlich und damit schmerzlos sind.

TeraStream schneidet aber auch andere alte Zöpfe rigoros ab: Was nicht IP ist, wird per Carrier Ethernet über IPv6 durchgereicht. Für einen Netzaufbau heute sei das angesichts der noch mageren IPv6-Durchdringung zwar ambitioniert, so die Beobachter. Mit Blick auf 2020 bekommt es jedoch ein Go von vielen Netzwerkexperten. Der Verzicht auf Dienste direkt im Netz – das Netz transportiert lediglich IP-Pakete, so Löthberg – ermöglicht den Verzicht auf zusätzliche Protokolle, Boxen und Interfaces.

Nächster von Löthberg vorgeschlagener Entrümpelungsschritt: Auf optische Filter im Netz verzichten. Beim Start in Kroatien wurden Router von Alcatel-Lucent und Cisco über eine 600 Kilometer lange
Glasfaserstrecken zwischen Split und Varazdin verknüpft. "Einen Meilenstein auf dem Weg zum allgemein verfügbaren 100-Gigabit-Ethernet" nannte die Telekom den geglückten Einsatz über die durch Dense Wavelength Division Multiplexing aufgebohrte Glasfaserleitung. Auch die schlichte Zusammenschaltung der Router verschiedener Hersteller reduziert die Komplexität und Kosten.

Bei ständig sinkenden Umsätzen im Festnetz gehörte genau das zur Aufgabe für Löthberg. Aber natürlich will der Netzbetreiber nicht nur Kosten sparen, sondern auch mehr verdienen als sich mit dem
reinen Netztransport oder Internetzugang verdienen läßt. So liefert die aus dem Netz verbannten Dienste einfach das Datacenter. Abgesehen von der Verschlankung des Kernnetzes bietet das Service Delivery Network die Chance, neue Dienste rascher einzuführen – der Einbau im Netz und die Anpassung der Bestandteile dort entfällt.

Auf der anderen Seite, im immer mehr vernetzten Heim, würde Löthberg am liebsten die gleiche Transparenz realisieren. "Machen wir doch, was wir auf den großen Boxen machen", sagte Löthberg in Athen. Aber die Verteilung von Adressen an den Toaster, Fernseher oder künftige Gimmicks muss doch noch das bewährte DHCP übernehmen.

Nächster Arbeitsschritt für TeraStream ist die Verbindung zu anderen Providern. Eigentlich brauche man dabei gar keine neuen Spezifikationen, sagte Löthberg gegenüber heise netze. Auch für den laufenden Piloten in Kroatien habe er auf bestehende Protokolle zurückgegriffen. Freilich wird das Aufbohren der Glasfaser für die Weitverkehrsstrecke bei der ITU standardisiert und ein neues Gerät will man sich doch noch leisten: Einen neuen Router fürs Heimnetz. Im Rahmen der Internet Engineering Task Force arbeiten Telekom-Experten daher an einem Open Source Software Defined Router. (dz)