EU-Parlament: Tauziehen um Internetsperren für Urheberrechtsverletzer

Unmittelbar vor der Debatte über die Entschließung zur Kulturwirtschaft setzt nochmal ein Tauziehen um die "Bürgerrechtsklausel" ein, die Forderungen der Musikwirtschaft nach Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen Grenzen setzen soll.

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Von
  • Monika Ermert

Eine Mehrheit der Fraktionen im Europaparlament wird voraussichtlich am morgigen Donnerstag einem Antrag zustimmen, der Internetsperren als Sanktion für "Urheberrechtspiraterie" ablehnt und dabei auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit pocht. Damit soll in der zur Abstimmung stehenden Entschließung des Parlaments zur Kulturwirtschaft eine klare Grenze bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen gezogen werden. Im Büro des für den "Bericht zur Förderung der Kulturwirtschaft" zuständigen Berichterstatters Guy Bono, Mitglied der französischen Sozialisten, erwartet man breite Zustimmung für diesen Änderungsantrag.

Allerdings setzte unmittelbar vor der Debatte über die viel diskutierte Entschließung zur Kulturwirtschaft nochmal ein Tauziehen um die "Bürgerrechtsklausel" ein, wie ein Mitarbeiter von Bono gegenüber heise online bestätigte. Erst im Verlauf heftiger Debatten um die Internetsperren war die "Bürgerrechtsklausel" als Änderungsantrag zum Bono-Bericht nachgereicht worden. Der neue Artikel 22a "fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, anzuerkennen, dass das Internet eine breite Plattform für die kulturelle Ausdrucksmöglichkeit, den Zugang zu Wissen und die demokratische Teilhabe an der europäischen Kreativität darstellt". Es sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, "die im Widerspruch zu den bürgerlichen Freiheiten und den Menschenrechten sowie den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der Effizienz und der abschreckenden Wirkung stehen, wie z.B. die Unterbrechung des Internet-Zugangs".

Die liberale Fraktion im Europaparlament drängte nun kurz vor der heutigen Sitzung auf eine getrennte Abstimmung von Bürgerrechtsklausel einerseits und Unterbrechung des Internetzugangs für Urheberrechtsverletzungen andererseits. Alarmiert reagierte laut Beobachtern auch die französische Regierung. Sie will Internetsperren durch Internet-Provider gegenüber über die Stränge schlagenden Kunden im Rahmen eines Gesetzes zu einem Bestandteil einer "abgestuften Reaktion" gegen "Urheberrechtspiraterie" machen. Laut heise online vorliegenden Informationen erhielten die franzöischen Europaparlamentsabgeordneten daher elektronische Post aus Paris, in der Sarkozys Verwaltung die Ablehnung der Bürgerrechtsklausel fordert. Eine zeitweilige Sperrung des Internetzugangs durch die Provider sei durchaus ein angemessenes Mittel.

Die Bürgerrechtsklausel setzt dagegen den Forderungen der Musikwirtschaft Grenzen, die im Rahmen der hitzigen Debatte um die Entschließung dafür geworben hatte, Internetsperren als sinnvolles Mittel in den Bericht aufzunehmen. "Eine solche Schnüffelei lehne ich total ab" begründete die grüne Vizechefin des Kulturausschusses Helga Trüpel die Ablehnung der Internetzugangssperren. "Wer wären denn die, die dann entscheiden, was gesperrt wird?" Man könne nicht einerseits chinesische Zensurmaßnahmen beklagen, andererseits aber solchen unkontrollierten Filterregelungen zustimmen.

Genau hier hatte auch die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation eingehakt und lauthals gewarnt: Erik Josefsson von der EFF in Europa beschwört die Gefahr, die seine Organisation im "Outsourcing" der Durchsetzung von Rechten an private oder gar automatisierte Filtersysteme sieht. Die französische Idee der "stufenweisen Antwort auf Urheberrechtsverletzungen durch Provider" greife auf, was die Kommission im Rahmen der umstrittenen Durchsetzungsrichtlinie vorgeschlagen habe: gemischt öffentlich-private Verfolgerteams , die sich potenziellen Urheberrechtsverletzern an die Fersen heften sollen.

Auch Berichterstatter Bono hat den Änderungsantrag unterzeichnet. Bono will sogar einer weiteren Änderung zustimmen, die durch die Links-Fraktion im Parlament angeregt wurde. Sie sieht eine Streichung des Paragraphen 23 vor, der auch die Verbraucher im Kampf gegen Piraterie "verantwortlich" machen soll – was auch immer das bedeuten mag. Eine Reihe von Formulierungen in dem Bericht bieten ähnlich breite Interpretationsmöglicheihkeiten dafür, wie es mit dem Urheberrecht weitergehen soll. Wenn von der Reform der Rechte am geistigen Eigentum die Rede ist, erwarten die einen eine Verschärfung, die anderen eine Liberalisierung, konstatiert Trüpel. Eine endgültige Antwort dazu wie der "faire Interessenausgleich" funktionieren soll, gebe es nicht.

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(Monika Ermert) / (jk)