Europol: polizeilicher Daten-Broker in Den Haag

Europol soll die nationalen Polizeien unterstützen. Schwerpunkte dabei sind Datensammlung, -austausch und -analyse. Die EU-Agentur speichert dafür weit über 100.000 Personendatensätze. Dabei können Datenschutzbestimmungen einzelner Staaten umgangen werden.

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  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Europol soll die nationalen Polizeien unterstützen. Schwerpunkte dabei sind Datensammlung, -austausch und -analyse. Die EU-Agentur speichert dafür weit über 100.000 Personendatensätze. Datenschutzbestimmungen einzelner Staaten können dabei umgangen werden.

Die Zusammenarbeit von Polizeien hat in Europa eine lange Tradition: Im Jahr 1914 hielten Polizisten, Anwälte und Beamte aus 14 Ländern den "First International Criminal Police Congress" in Monaco ab, 1923 wurde Interpol gegründet. Im Jahr 1975 wurde als Forum der polizeilichen Zusammenarbeit der EG-Mitgliedstaaten die TREVI-Gruppe (Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence International) gegründet, Mitte der 1980er Jahre kam eine TREVI-Arbeitsgruppe zum Drogen- und Waffenhandel hinzu. 1990 wurde die "European Drugs Intelligence Unit" (EDIU) eingerichtet und 1995 die "Europol Drugs Unit" (EDU), der Vorläufer von Europol: Schon zu Beginn der 1990er Jahre waren die einzelstaatlichen Polizeibehörden organisatorisch verflochten – die rechtlichen Grundlagen entstanden erst nach und nach. Europol selbst wurde auf Betreiben von Helmut Kohl gegründet; er hatte das Buch "Der Mob" von Dagobert Lindlau gelesen, wollte ein "europäisches FBI" einrichten und setzte das Projekt "Europol" schließlich gegen einige Widerstände aus dem In- und Ausland durch.

Europol hatte von Anfang an keine exekutiven Befugnisse – obwohl dies angedacht war – sondern war ein Daten-Broker: Der Europäische Rat beauftragte in Maastricht eine Arbeitsgruppe, die sich in den Folgejahren mit dem Aufbau eines Informationssystems in den Bereichen Drogenhandel, Geldwäsche und Organisierte Kriminalität beschäftigte. In dieser Zeit entwickelte das "Project Team Europol" die Systematik des Amtes mit ihrer spezifischen Kombination aus Amts-Mitarbeitern und Verbindungsbeamten der Mitgliedsstaaten. 1993 wurde die neue Behörde in Den Haag angesiedelt, im Juli 1995 die Europol-Konvention unterzeichnet, im Oktober 1998 trat sie in Kraft. Im Juli 1999 löste – wieder auf deutsches Betreiben – das Europäische Polizeiamt die Europol-Drogenstelle ab und nahm offiziell seine Arbeit in Den Haag auf. Im Juli 2009 trat der "Beschluss des Rates zur Errichtung des Europäischen Polizeiamtes (Europol)" in Kraft. Damit wechselte die Rechtsgrundlage von einem Übereinkommen zu einer Agentur der Gemeinschaft. Der Deutsche Jürgen Storbeck, der den Aufbaustab geleitet hatte, wurde zum ersten Direktor gewählt, sein Nachfolger wurde mit Max-Peter Ratzel wieder ein Deutscher. Der aktuelle Direktor ist der Brite Bob Wainwright.

Die Entstehung von Europol geht zwar auf die Bundesregierung zurück, war in Deutschland aber auch umstritten: Hier hat der Schutz der persönlichen Daten Verfassungsrang, in den anderen Staaten nicht. Das ist ein wichtiger Punkt angesichts dessen, dass Europol im Grunde die Funktion eines "Daten-Brokers" hat und Personendaten deutscher Staatsbürger speichern kann, wie sie in Deutschland nicht gespeichert werden dürften. Die IT-Datenbasis von Europol besteht aus drei Teilen: "Europol Information System" (EIT), "Analysis Work Files" (AWF) sowie einem Index System.

Kern der Arbeit, oft als "Herzstück" Europols bezeichnet, sind die AWF, "Arbeitsdateien zu Analysezwecken". Eine AWF ist eine Datenbank zu einem bestimmten Kriminalitätsgebiet, zu dem Europol den EU-Mitgliedstaaten oder auch assoziierten Drittstaaten eine operationale Unterstützung bieten will. Eine AWF enthält Angaben zu Personen, Fakten sowie Recherche- und Analyseergebnisse. AWFs sind das erste und einzige legale derartige Werkzeug auf europäischer Ebene.

Die Pressestelle von Europol ist sehr zurückhaltend mit Auskünften. Eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Linken ergab, dass es im Dezember 2003 19 Arbeitsdateien zu Analysezwecken gab, in denen Datensätze zu 146.183 Personen gespeichert wurden. Im Jahr 2007 führte Europol 16 AWFs, heute sollen es über 20 sein.

Die Dateien dürfen nur drei Jahre lang aufbewahrt werden. Europol überprüft sie vor Ablauf der Frist und der Direktor der Agentur kann bestimmen, dass ein AWF noch einmal drei Jahre weitergeführt wird. Andere Möglichkeiten, zumindest Informationen zu den Dateien zu bewahren und weiter zu nutzen, sind ausgedruckte Akten oder Wissensprodukte zu den AWFs: In diesen wird in einer Fußnote das Datum angegeben, wann die betreffende Datei oder Information gelöscht wird.

Europol hat eine interne Datenschutzeinheit, außerdem gibt es eine international zusammengesetzte Datenschutzkommission, dadurch wird die Arbeit sowohl von innen als auch von außen kontrolliert. Wenn also eine deutsche Behörde Informationen liefert, muss sie sowohl die deutschen als auch die Europol-Datenschutzbestimmungen beachten.

Die AWFs können sehr umfangreich sein: Sie enthalten Daten nicht nur zu Tätern, sondern auch zu Kontaktpersonen, Zeugen und Opfern, oder auch möglichen Informanten. Dazu kommen sensible Daten wie etwa ethnische Herkunft, politische, religiöse oder andere Überzeugungen und Angaben zur Gesundheit und das Sexualleben der Personen. AWFs gibt es zu Themen, Regionen, oder Personengruppen. Sie betreffen etwa Gruppen Organisierter Kriminalität, Geldfälschung, Drogenhandel oder Terrorismus.

Während am EIT alle EU-Mitgliedsstaaten teilnehmen, ist die Teilnahme an einem AWF freiwillig; sie hängt etwa davon ab, ob der jeweilige Staat betroffen ist. An manchen AWFs nehmen nur drei oder vier Staaten teil. Die Mitgliedsstaaten kommunizieren via Europol als Plattform. Einzelne Mitgliedstaaten können anregen, dass ein AWF-Projekt aufgenommen wird, sie können aber auch aufgrund einer Europol-Analyse entstehen. Die Informationen in den Dateien stammen aus Europol-Recherchen, die Agentur kann aber auch Informationen von EU-Mitgliedsstaaten und Drittstaaten anfragen.

Der Zugang zum Index-System ist innerhalb des Amtes offen, der zu den AWFs dagegen begrenzt: Zugang haben nur Europol-Beamte – nicht die Verbindungsbeamten, die für die EU.Mitgliedsstaaten vor Ort sind –, und für jede AWF werden einzelne Beamte designiert. Normalerweise sind das ein first und ein second officer sowie ein analytical assistant, bei hohem Arbeitsaufkommen noch weitere Beamte, wobei das Personal auch für einen bestimmten Zeitraum aufgestockt werden kann. Meist betreut ein Analyst einen AWF in der Hauptsache sowie zwei oder drei weitere AWFs nebenher.

Anfangs waren die einzelnen AWFs gegeneinander abgeschottet und hatten je eigene Errichtungsanordnungen. Wenn aber zum Beispiel eine bestimmte Person unterschiedlicher krimineller Handlungen verdächtigt wurde, dann musste an jede einzelne AWF eine einzelne Anfrage gestellt werden. Innerdeutsch wurde das so gelöst, dass bestimmte Beamte Querschnittsabfragen machen durften. Dies scheint Europol derzeit umstellen und dadurch die Abfragen erleichtern zu wollen.

Die Organisation der AWFs hängt eng mit der Systematik von Europol zusammen: Dort arbeiten Kriminalanalysten für die Kriminalitätsanalyse, die aus dem Polizeibereich, aber auch aus Sozialwissenschaften kommen. Es gibt unterschiedliche Fachbereiche, an welche die Analysten je nach Bedarf ausgeliehen werden können. Ihnen stehen Softwaretools für die Verarbeitung immenser Datenmengen und Verknüpfung der Daten zur Verfügung und so konnten sie schon Verbindungen von Fällen aufdecken, deren Zusammenhang selbst Behörden vor Ort nicht klar war.

Ein zuständiger Europol-Beamter kann "seinen" AWF bei einem Außeneinsatz auf dem Laptop mitnehmen: Europol hat zwar keine Exekutivbefugnisse, kann aber durchaus bei Operationen vor Ort sein, etwa als teilnehmende Partei an einem Joint Investigation Team. Dies zum Beispiel, wenn eine Europol-Analysegruppe Rechercheergebnisse an einen Mitgliedsstaat weitergeleitet hat und dort auf dieser Grundlage ein Einsatz durchgeführt wird. Wenn der Mitgliedstaat dann Europol-Mitarbeiter einlädt, kann die Agentur sie entsenden, die stehen dann aber in der zweiten Reihe, haben also keine Exekutiv-Befugnisse. Solche "Joint Investigation Teams" hat Europol Anfang 2000 "erschaffen", inzwischen sind sie in dem EU-Rechtshilfeübereinkommen von 2001 in Artikel 13 als Instrument der internationalen Zusammenarbeit verankert: In einem solchen Rechtshilfeverfahren können auch Richter, Untersuchungsrichter, Staatsanwälte, Polizeibeamte oder Zollbeamte mitarbeiten.

Im Zusammenhang mit der Arbeit Europols stellen sich datenschutzrechtliche und politische Fragen: Durch die spezifische Organisation der AWFs ist es möglich, dass Staaten Informationen über die Bürger anderer Staaten bei Europol einpflegen (lassen). So wird nicht verhindert, dass Daten gespeichert werden, die nach den "eigenen" Datenschutzgesetzen nicht gespeichert werden dürften.

Letztlich bestimmen politische Führungskräfte, was ein Sicherheitsproblem darstellt und wie ihm begegnet werden soll. Sie müssen sich dabei auf die Angaben von Experten zum Thema Sicherheit verlassen. Diese Spezialisten allerdings haben als Angehörige einer Sicherheitsbehörde wie Europol ein genuines Interesse an der Existenz von Sicherheitsproblemen. Die Bürokratie wird nicht von außen fachlich und politisch kontrolliert, der Politikbereich der Sicherheit ist nicht transparent.

Europol jedenfalls ist enorm gewachsen: Im Jahr 1997 – als Vorläuferorganisation EDU – hatte es 135 Mitarbeiter und ein Budget von 5,5 Millionen Euro, und im Jahr 2012 dann 800 Mitarbeiter, davon 100 Analysten und 150 Verbindungsoffiziere und einem Budget von 84,15 Millionen Euro derzeit sollen es sogar über 200 Analytiker sein. Parallel wurden die Aufgaben und Befugnisse des Amtes um zahlreiche Deliktgruppen erweitert. Das Amt wurde zentralisiert und die internationale Zusammenarbeit ausgeweitet. (anw)