Goldtaler oder Schwarzgeld?

Virtuelle Währungen sind der neueste Hype im Internet und in der globalen Finanzwelt. Auch wenn die erste Spekulationsblase schon geplatzt ist – Bitcoin und Co. haben das Potenzial, unser Bankensystem zu erschüttern.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Virtuelle Währungen sind der neueste Hype im Internet und in der globalen Finanzwelt. Auch wenn die erste Spekulationsblase schon geplatzt ist – Bitcoin und Co. haben das Potenzial, unser Bankensystem zu erschüttern.

Die Schuldenkrise in Zypern hat einem Phänomen aus der Obskurität des Internets in die Schlagzeilen verholfen: digitalen Währungen. Kaum bat die Europäische Union reiche Sparer bei der Rettung zyprischer Banken zur Kasse, verschoben weltweit panische Anleger ihr Barvermögen in alle möglichen sicheren Häfen. Einen fanden sie in Bitcoins, der größten einer wachsenden Schar virtueller Geldkreationen.

Was folgte, ist Geschichte. Innerhalb weniger Wochen schuf der Run auf die Währung die erste spektakuläre Spekulationsblase der neuesten Geldgeneration – und ihre erste Währungskrise gleich mit. Erst schoss der Bitcoin-Kurs im April steil auf mehr als 200 US-Dollar empor, bevor er sich jäh innerhalb weniger Stunden halbierte.

Das Epizentrum des Bebens lag in Japan. Genauer gesagt im Tokioter Stadtteil Shibuya bei Mt.Gox, der größten Bitcoin-Börse der Welt. Seit der Gründung der Währung im Jahr 2010 können Interessenten hier Konten eröffnen und ihre hart verdienten Dollars, Yen, Pfund oder Euro in digitale Münze tauschen, um munter zu spekulieren, weltweit an Banken und staatlichen Kontrollen vorbei preiswert Geld zu verschieben oder im Internet zu bezahlen.

Die Geldschöpfung wie auch die Transaktionen finden ohne eine zentrale Verwaltung über ein Netzwerk von Rechnern statt. Deren Besitzer stellen Nutzern gegen Bitcoins oder kleine Gebühren beim Transfer der digitalen Währung reales Geld zur Verfügung. Viel ist das nicht, teilweise ist Idealismus am Werk. Die Transaktionsgebühren decken in der Regel nicht einmal die Stromkosten. Börsen wie Mt.Gox hingegen erhalten für jede Transaktion ein Prozent der Tauschsumme – zur Hälfte in Bitcoins, zur Hälfte in harter Währung.

Erst nutzten nur Geeks und – so ein viel geäußerter Vorwurf – zwielichtige Zeitgenossen wie Drogenhändler dieses neue Finanzprodukt. Doch dank der Zypern-Krise explodierte die Zahl der Kontoeröffnungen bei Mt.Gox von 10000 pro Monat im Herbst 2012 auf bis zu 20000 pro Tag im April. Schätzungen zufolge wechselten monatlich Bitcoins im Wert von einer Milliarde US-Dollar den Besitzer. Im Herbst 2012 waren es noch 120 Millionen. Am 11. April war ein Bitcoin 266 Dollar wert – so viel wie noch nie.

Doch auf den Boom folgte die Krise. Überrumpelt von der Handelsexplosion und in Kombination mit einer Hackerattacke gingen die Server von Mt.Gox für mehr als zwölf Stunden in die Knie und lösten damit den Bitcoin-Crash aus. Noch am selben Tag sauste der Kurs 160 Dollar in die Tiefe. Plötzlich erwachte auch die Weltpresse. Und ihr bester Augenzeuge für den jähen Aufstieg und Fall des neuen Geldes wurde Mark Karpeles, Nationalität: Franzose, Alter: 27 Jahre, Aussehen: geekig, kurz: der Chef der Firma Tibanne, zu der Mt.Gox gehört.

Karpeles' Hauptquartier ist ein Gegenentwurf zu den Börsen und Banken der analogen Finanzwelt, die mit Marmor, Holz und Designermöbeln den Eindruck von Seriosität und Stabilität zu wecken versuchen. Bei Tibanne zersiedelt ein Dutzend Schreibtische ein karges Großraumbüro. Ein Sitzball rollt umher. Einen Hauch von Luxus verströmen ein schwarzer Massagesessel mit Sprachsteuerung in einem kleinen Konferenzzimmer und ein Dyson-Ventilator auf dem Schreibtisch des Chefs.

Die Bitcoin-Krise erklärt Karpeles gelassen: "Wir haben schlicht nicht mit dem plötzlichen Ansturm gerechnet und kamen nicht mit der Aufrüstung der Server und der Software hinterher." Die Zeitlücke zwischen dem Zahlungsauftrag an Mt.Gox und dem Währungseingang beim Kunden wuchs auf Stunden. Aber inzwischen habe man alles wieder im Griff, der Handel laufe normal.

Kritik, dass virtuelle Währungen bald verglühen würden, weist Karpeles zurück. "Vielleicht wird Bitcoin verschwinden", gesteht er zu. "Aber es ist nur die Spitze eines Eisbergs." Andere Währungen toben bereits durch das Netz: die 2011 erschaffene Bitcoin-Kopie Litecoin, PPCoin oder der Ven, die Währung von Hub Culture, einem sozialen Netz für die selbsternannte urbane Elite. "Wir stehen an der Schwelle zu etwas Neuem", sagt Bitcoins Oberbörsianer. "Bitcoin gibt nur die Form der Dinge vor, die noch kommen werden."

Doch wie genau die Zukunft aussehen wird, ist noch offen. Wie der Ven vielleicht? Diese Währung startete bereits 2007, um den Zahlungsverkehr unter den weltweit verstreuten Mitgliedern von Hub Culture zu erleichtern. Wie bei einer gewöhnlichen Währung wird bei diesem Konstrukt der Zahlungsverkehr von zentraler Stelle überwacht. Aber das eigentliche Ziel ist, Internet-Kommerz und Weltverbesserung zu verbinden.

So wird die umlaufende Summe im Wert von derzeit rund zwei Millionen Dollar nicht nur durch Investitionen in Währungen und Rohstoffe abgesichert, sondern auch durch umweltfreundliche Vehikel wie Emissionszertifikate. Wie eine Währung gedeckt sei, entscheide über ihren Charakter und erziehe damit die Nutzer, erklärt Ven-Gründer Stan Stalnaker seine Idee bei einem Tokio-Besuch. "Es heißt, Geld sei die Wurzel allen Übels. Was aber, wenn wir es zu einer Quelle des Guten machen können?"