Kommentar: NSA-Affäre - hoffentlich sind sie jetzt aufgewacht

Kommentar: Der mutmaßliche Spionageangriff auf das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt: Die NSA-Affäre ist alles andere als beendet.

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"Die Vereinigten Staaten überwachen ihre Kommunikation nicht und werden sie auch nicht überwachen": Jetzt muss sich Angela Merkel also mit einer dieser Phrasen abspeisen lassen, mit denen ihr Kanzleramtsminister bisher die NSA-Affäre gegenüber der deutschen Öffentlichkeit für beendet erklären wollte. Sie erinnern sich? Mitte August wollte Ronald Pofalla wider jede Faktenlage und Logik einen Schlussstrich unter den NSA-Skandal ziehen. NSA und GCHQ hätten ihm "schriftlich versichert", dass sie sich "in Deutschland" an Recht und Gesetz halten.

Damals wie heute war vor allem interessant, was nicht gesagt wurde. So gab es seinerzeit kein Wort der angelsächsischen Geheimdienste zu den angezapften Transatlantikkabeln oder den Zugriffen auf die Server von Diensten wie Google und Facebook. Und Barack Obama hat Angela Merkel offenbar nun keineswegs gesagt, dass ihr Telefon nicht in der Vergangenheit abgehört wurde. Überraschend wäre ein Abhören jedenfalls nicht: Auch die Führungen befreundeter Staaten wie Brasilien und Mexiko, die EU, Frankreich, die vereinten Nationen sowie die Botschaften etlicher weiterer Staaten waren Ziel amerikanischer Schnüffelei.

Wie bislang eigentlich fast immer im Rahmen der Geheimdienstaffäre-Enthüllungen, kann man von den USA keine aktive Hilfe bei der Aufklärung erwarten. Womöglich werden wir nie erfahren, ob Merkels Handy tatsächlich angezapft wurde. Doch allein die Möglichkeit, dass man den USA zutraut, die Kanzlerin auszuspionieren, zeigt ein Umdenken der Regierenden. Bislang war es offenbar egal, dass die Kommunikation von 80 Millionen Deutschen abgeschnorchelt wird, darunter verfassungsrechtlich besonders geschützte wie die von Rechtsanwälte und Journalisten. Jetzt ist Angela Merkel selbst betroffen – und das zieht sofort scharfe Reaktionen nach sich. Offenbar will sich Merkel jetzt nicht mehr hinhalten lassen, wie bisher, und fordert die Beantwortung von Fragen, die schon vor Monaten gestellt wurden.

Ich bin ja Optimist und werte diese Reaktion als Zeichen dafür, dass die Handelnden in Berlin durch die anhaltende Berichterstattung über NSA und Co. sensibilisiert worden sind. Insofern käme die Enthüllung über die mutmaßliche Merkelphone-Spionage zu einem guten Zeitpunkt: während der Regierungsbildung. Auf die angelsächsischen Geheimdienste kann die künftige Regierung keinen direkten Einfluss nehmen, aber zumindest auf die eigenen. CDU, CSU und SPD hatten vor der Wahl beteuert, dass sie die deutschen Geheimdienste enger an die Leine nehmen wollen. Jetzt haben sie die Gelegenheit dazu. Bislang haben vor allem CDU und CSU eine effektive Kontrolle ja eher verhindert.

Und vielleicht können die Deutschen im Verbund mit anderen Staaten Druck auf USA und Großbritannien ausüben und die Daten ihrer Bürger besser schützen helfen. Dass das EU-Parlament das SWIFT-Abkommen aussetzen will, ist ein vielversprechender erster Schritt in diese Richtung. Dann hätte die Merkelphone-Affäre auch ihr Gutes: Nicht nur die interessierte Öffentlichkeit, auch die Regierung müsste endlich erkennen, dass die NSA-Affäre alles andere als beendet ist – pofalllibistische Beendigungserklärungen hin oder her. Und Edward Snowdens Enthüllungen würden endlich etwas bewirken. (jo)