Datenschützer beklagt Verschwendung durch verfassungswidrige Sicherheitsgesetze

Der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert wirft Bundesregierung und Bundestag in seinem Jahresbericht die Verschwendung öffentlicher Gelder für aufwendige Gesetzgebungs- und Gerichtsprozesse vor.

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Der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert wirft Bundesregierung und Bundestag in seinem am heutigen Dienstag veröffentlichten Jahresbericht die Verschwendung öffentlicher Gelder wegen der Verabschiedung immer neuer verfassungswidriger Sicherheitsgesetze vor. So halte Berlin etwa "trotzig und ohne Einsicht zu zeigen daran fest, die beschlossene Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten umzusetzen", moniert der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD). Mit der Umsetzung des Brüsseler Vorhabens zur Passagierdatenspeicherung setze die Regierung noch eins drauf.

Aber auch bei Online-Durchsuchungen sieht Weichert Berlin weiter auf verfassungswidrigem Kurs. Obwohl das Bundesverfassungsgericht Ende Februar festgestellt habe, dass das heimliche Ausspionieren von privaten PCs nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist, verfolge die Bundesregierung ihre Pläne weiter. Das höchste deutsche Gericht habe nach dem 11. September 2001 immer wieder feststellen müssen, "dass verabschiedete so genannte Sicherheitsgesetze mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind". Weichert verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die Entscheidungen gegen das Kfz-Kennzeichen-Scanning oder bei der Rasterfahndung. Als Nächstes stünden die Gesetze zur Anti-Terror-Datei und zur Vorratsdatenspeicherung im Hauptsacheverfahren auf dem Karlsruher Prüfstand.

Der Berliner Kurs kommt laut Weichert einer "Ressourcenverschleuderung" gleich. Während beim Datenschutz geknausert werde, würden Steuermittel "ohne erkennbaren Nutzen ausgegeben". Schlimmer noch sei, dass auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Verfassungstreue von Gesetzgebungsorganen, in die Sicherheitsbehörden und in die Sicherheit der Daten der Bürger gefährdet werde.

Die Landespolitik in Schleswig-Holstein, wo die Datenschützer mit der Vorlage des 30. Tätigkeitsberichts ein Jubiläum feiern, hebt sich Weichert zufolge mittlerweile wieder positiv von der Bundespolitik ab. So habe die Landesregierung etwa ein eindeutiges Votum gegen die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten abgegeben. Sie unterstütze das ULD zudem bei seinen Bestrebungen zur Weiterentwicklung eines "präventiven Datenschutzes" durch Technik, der Vergabe von Gütesiegeln und der Durchführung von Datenschutzaudits. Letzteres sei für Verwaltungen im hohen Norden bereits gleichsam ein Standardverfahren geworden. Die europaweite Fortentwicklung der Zertifizierungen im Projekt EuroPriSe (European Privacy Seal) sei zudem in vollem Gange.

Im vergangenen Jahr gab es für die Kieler Datenschützer aber auch immer wieder Anlässe für Beanstandungen und massive Kritik. So bezeichnet es Weichert als "äußerst beunruhigend, dass die vom ULD schon wiederholt bemängelte Praxis, hoheitliche Datenverarbeitungen gerade bei Sicherheitsüberprüfungen von Firmenmitarbeitern oder akkreditierten Journalisten auf der Basis von Einwilligungen durchzuführen, immer weiter um sich greife. Derartige Verfahren seien unfreiwillig und könnten strenge gesetzliche Regelungen nicht aushebeln oder tiefe Informationseingriffe durch Polizei- und Geheimdienstanfragen nicht rechtfertigen.

Mit großer Besorgnis sieht der Datenschutzbeauftragte auch "die Leichtigkeit, mit der eine Strafverfolgungsbehörde einen beschlagnahmten Computer an einen Verband der Unterhaltungsindustrie weitergegeben hat mit dem Angebot, eventuell festgestellte Urheberrechtsverletzungen zu ermitteln und zu verfolgen". Dabei sei dem Interessenverband ohne Bedenken der Zugriff auf sämtliche gespeicherten Daten einschließlich privater Bilder oder E-Mails ermöglicht worden. Der ursprüngliche Straftatverdacht habe sich aber nicht bestätigt. Es gebe Hinweise dafür, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt, sondern systematisch und nicht nur in Schleswig-Holstein eine Kooperation von Strafverfolgern und Unterhaltungsindustrie erfolge. Dabei würden "die grundlegendsten Anforderungen des Datenschutzes missachtet".

Als "erschreckend" bezeichnet der Bericht ferner unter anderem den Datenschutz in der Wirtschaft allgemein sowie die in Einzelfällen gezeigte Missachtung des bankspezifischen Datenschutzes im Besonderen. Mangelnde Sensibilität sei etwa bei vielen Arbeitgebern in Bezug auf die Überwachung ihrer Beschäftigten festzustellen gewesen. (Stefan Krempl) / (vbr)