Die Vorhersagbarkeit hat Flügel - zum Tode von Edward Norton Lorenz

Zusammen mit dem Mathematiker Henri Poincaré gilt Lorenz als Begründer der Chaosphysik, der nach ihm benannte Lorenz-Attraktor hat wegen seiner Schmetterlingsform als "Schmetterlingseffekt" Kulturgeschichte geschrieben.

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Von
  • Detlef Borchers

Im Alter von 90 Jahren ist der amerikanische Meteorologe Edward Lorenz im amerikanischen Cambridge an Krebs gestorben. Zusammen mit dem Mathematiker Henri Poincaré gilt Lorenz als Begründer der Chaosphysik, der nach ihm benannte Lorenz-Attraktor hat wegen seiner Schmetterlingsform als "Schmetterlingseffekt" Kulturgeschichte geschrieben.

Edward N. Lorenz wurde am 23. Mai 1917 im US-amerikanischen West Hartford geboren. Er studierte Mathematik, wurde aber im zweiten Weltkrieg wie sein späterer Universitätskollege Weizenbaum als Meteorologe eingesetzt. Nach dem Krieg absolvierte Lorenz ein Meteorologie-Studium und begann am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit der Untersuchung von Computersimulationen, die das Wetter berechnen sollten. Nach der erfolgreichen Entwicklung von mathematischen Modellen zur Erklärung des Luftaustausches in der Atmosphäre entwickelte er ein Wettermodell mit zwölf Variablen, das computerunterstützt die Wettervorhersage perfektionieren sollte. Bei der Arbeit am Computer erzeugte dieses Modell mit identischen Ausgangsdaten völlig unterschiedliche Vorhersagen. Lorenz gab zunächst dem Computer die Schuld und lies die Hardware untersuchen. Schließlich fand er heraus, dass zwei Rundungen im Tausendstel-Bereich gereicht hatten, das ganze simulierte Wettergeschehen zu kippen.

Aus dieser Erfahrung entwickelte er "Modelle für unstabile aperiodische nonlineare dynamische Systeme", wie sein Vortrag vor amerikanischen Wissenschaftlern im Jahre 1972 eigentlich heißen sollte. Der Tagungsleiter machte daraus kurz und bündig den "Schmetterlingseffekt" nach dem berühmten Satz, mit dem Lorenz, angeregt vom Graphen seiner Berechnungen, den Vortrag begann: "Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?" Er kann es, zeigte Lorenz seinen Zuhörern, und endete seine Beweisführung mit dem Lorenz-Attraktor, für den er 1991 den Kyoto-Preis als "dramatischste Veränderung der Naturwissenschaften" bekam, mit dem Satz: "Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Tornado auslösen kann, so kann er auch den Effekt haben, ihn zu verhindern."

Die Wucht, mit der der von Lorenz formulierte "Schmetterlings-Effekt" als "Chaos-Theorie" andere Wissenschaftszweige, von der Ökonomie bis zur Medizin veränderte, hat mit der Aufklärung zu tun. Um einen Forscher lächerlich zu machen, hatte der berühmte Enzyklopädist Denis Diderot formuliert: "Glauben Sie denn wahrhaft, daß das Ausschlagen eines Pferdes auf dem Lande in Frankreich den Flug eines Schmetterlings auf den Sonde-Inseln verwirrt?" Sein Landsmann Henri Poincaré befasste sich mit dem Problem nach der Entdeckung des Planeten Neptuns im Jahre 1848, die Stabilität unseres Sonnensystems zu beweisen. Auf diesen Nachweis hatte der norwegische König Oskar II einen Millionenbetrag ausgesetzt. Poincaré gelang der Nachweis nicht, stattdessen begründete er die Chaostheorie. In Interviews zu "seinem" Thema vergaß Edward Lorenz nicht, auf diese Ideengeschichte hinzuweisen. Beide Protagonisten sind im Lorenz-Poincaré-Plot der Mediziner vereint, mit dem anomale Herzrhythmus-Störungen untersucht werden.

Bis kurz vor seinem Tode arbeitete Edward Lorenz an einem wissenschaftlichen Aufsatz. Außerdem soll er als sehr aktiver Sportler bis in die letzten Wochen noch seinem Lieblingssport Skilaufen nachgegangen sein. Als Meteorologe warnte Lorenz auch vor dem Menschen. Nach den verheerenden Folgen des Hurrikans Katrina in New Orleans wurde ein anderer Satz aus seiner Rede von 1972 zitiert: "Wenn ein einziger Flügelschlag eines Schmetterlings die Auslösung eines Tornados zur Folge haben kann, so gilt dies ebenso für alle vorhergehenden und folgenden Flügelschläge so wie für die von Millionen anderer Schmetterlinge, ohne von den unzähligen viel stärkeren Lebewesen zu sprechen, insbesondere unserer eigenen Spezies." (Detlef Borchers) / (jk)