Warnung vor "unerträglicher Verschärfung" der Vorratsdatenspeicherung

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco wollen den Bundesrat von einer Entschließung abbringen, die Rechteinhabern Zugriff auf die Verbindungsdaten von Telefon und Internet geben soll.

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Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco wollen den Bundesrat von einer Entschließung abbringen, wonach Rechteinhabern Zugriff auf die künftig verdachtsunabhängig vorzuhaltenden Vorratsdaten von Telefon- und Internet-Verbindungen gegeben werden soll. Die Länderkammer würde sich damit "bei dem aus verfassungs- und datenschutzrechtlicher Sicht ohnehin schon äußerst problematischen Gesetzentwurf für eine unerträgliche Verschärfung stark machen", warnt Schaar. Der Zugriff auf die sechs Monate zu speichernden Telekommunikationsdaten müsse "für zivilrechtliche Zwecke tabu sein". Der Providerverband eco sieht derweil seine Befürchtungen bestätigt, dass die Vorratsdaten "immer neue Begehrlichkeiten wecken".

Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat den Länderchefs empfohlen, im Rahmen der morgigen Plenarsitzung auf die Verankerung von Zugriffsrechten auf die Verbindungsdaten für die Rechteinhaber im Rahmen der weiteren Beratung des Regierungsentwurfs für das umstrittene Gesetz zur besseren Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums zu pochen. Andernfalls würde der besonders umkämpfte Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern, der mit dem Gesetz geschaffen werden soll, "leer laufen". Die Rechteinhaber würden andernfalls bei der Recherche nach den hinter IP-Adressen stehenden Namen und Bestandsdaten weiterhin gegen ihren Willen gezwungen, "stets ein Strafverfahren gegen potenzielle Verletzer einzuleiten".

Schaar erinnerte dagegen daran, dass der Zugang zu den Datenbergen gemäß den EU-Vorgaben auf Zwecke der Verfolgung von schweren Straftaten und damit für hoheitliche Zwecke beschränkt bleiben müsse. Er appellierte erneut an den Gesetzgeber, auf eine weitere Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses – zumal erstmals auch zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen – zu verzichten. Die sensiblen Verbindungsdaten dürften "nicht auf breiter Basis für die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genutzt" werden. Die Musik- und Filmindustrie habe selbst dafür Sorge zu tragen, "dass durch technische Maßnahmen und neue Geschäftsmodelle unrechtmäßigen Nutzungen die Grundlage entzogen wird".

Oliver Süme, Vorstand Recht und Regulierung beim eco, stemmt sich ebenfalls gegen den ins Spiel gebrachten "Quantensprung in der Ausweitung des Zugriffs" auf die Vorratsdaten. Genutzt werden dürften diese bereits entgegen den ursprünglichen Planungen zusätzlich zur Gefahrenabwehr, durch Nachrichtendienste und zur Aufklärung auch minder schwerer Straftaten. Eine noch weitere Ausweitung der Zugriffsdaten durch Privatunternehmen wäre "verfassungsrechtlich höchst problematisch und würde einen explosionsartigen Anstieg von Auskunftsersuchen nach sich ziehen". Die Informationen, wer wann mit wem telefoniert, eine E-Mail geschickt hat oder im Internet war, würden schließlich weit reichende Schlüsse über persönliche Lebensumstände zulassen.

Der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm moniert derweil in der Zeit, dass der Staat im Kampf gegen den Terrorismus verstärkt die Freiheit der Sicherheit opfere. Vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) würden "ständig neue Sicherheitslücken auffallen, die er mit freiheitsbeschränkenden Gesetzen stopfen will". Dabei hätten schon jetzt vier von fünf Gesetzesänderungen zur Verschärfung von Anti-Terrorgesetzen und zur heimlichen Informationsgewinnung der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standgehalten. Zugleich warnte Grimm vor einem "Präventionsstaat", mit dem der Datenhunger der Sicherheitsbehörden erheblich wachse. Denn bei der damit verknüpften reinen Verdachtssuche sei nichts unverdächtig – "nicht das Buch aus der Bibliothek, nicht der Wecker auf dem Nachtisch, nicht der Ort, an dem man seine Freunde trifft".

Jeder muss laut dem Rechtsprofessor inzwischen befürchten, "dass seine Kommunikation überwacht wird". Niemand könne sicher sein, dass ihm daraus keine unangenehmen Folgen erwachsen. "Ist man einmal im Verdachtsraster hängen geblieben, sind Beschattung und Ausforschung der Nachbarn, Beförderungsverweigerungen im Flugzeug, der Verlust des Arbeitsplatzes wegen Sicherheitsbedenken nicht mehr völlig fern." Daher müssten dem staatlichen Informationshunger Grenzen gezogen werden: "In einem Land, das sich nach bitteren Erfahrungen in seinem obersten Verfassungsgrundsatz auf Achtung und Schutz der Menschenwürde festgelegt hat, geht es um die Sicherheit der Freiheit. In einem solchen Land darf dem Staat nicht jedes Mittel zur Bewahrung der Sicherheit recht sein."

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)