YouTube als Schlachtfeld für Anonymous gegen Scientology

Zwei prominente Scientology-Kritiker verloren innerhalb weniger Tage ihre YouTube-Accounts. Kurz zuvor hatte ein Interview-Auszug mit US-Schauspieler Jason Beghe für Furore gesorgt. Darin übte der Ex-Scientologe heftige Kritik an der Organisation.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Gerald Himmelein

Unbekannte haben zwei prominente Scientology-Kritiker von der Videoplattform YouTube ausschließen lassen. Am Dienstag wurde der Account der Ex-Scientologin Tory Christman gesperrt, am Freitag ereilte den Fernsehjournalisten Mark Bunker dasselbe Schicksal.

Wenige Tage vor der Sperrung hatte Bunker auf YouTube kurze Auszüge aus einem Interview mit dem Film- und Fernsehschauspieler Jason Beghe veröffentlicht. Beghe sprach sich darin nach 12 Jahren Scientology in starken Worten gegen die Organisation aus. Kritiker mutmaßen, dass Bunker unter Vorspiegelung falscher Tatsachen denunziert wurde, um eine Veröffentlichung des vollständigen Interviews zu behindern.

Scientology und seine Gegner tragen ihre Schlachten bereits seit Jahren auf YouTube aus. Für die Internet-Bewegung "Anonymous" ist das Videoportal die wichtigste PR-Plattform und ein zentraler Informations-Pool. Hier nahm auch "Project Chanology" seinen Ursprung.

Die Anonymous-Bewegung gegen Scientology entstand, nachdem Scientology ein Video von Tom Cruise von YouTube entfernen ließ. In dem neunminütigen Clip ließ sich der Schauspieler ausführlich über die angeblichen Kompetenzen von Scientologen aus. Das Verschwinden des Videos wurde von Internet-Aktivisten als Zensur empfunden und führte zu einem Manifest mit dem Titel "Message To Scientology", das der meist als Religion auftretenden Organisation den Krieg erklärte.

Anonymous ist eine formlose internationale Gruppierung ohne Anführer und Mitgliedsliste – hier kann sich jeder anschließen, der mit der Causa sympathisiert. Die Bewegung wird nur vom gemeinsamen Ziel zusammengehalten und organisiert sich über Diskussionsforen und Chatrooms. Die meisten Teilnehmer kennen einander nur unter Online-Pseudonymen.

Anonymous wurde Mitte Januar zunächst mit DDoS-Angriffen gegen einige Scientology-Websites aktiv. Die Attacken sorgten zwar für Aufmerksamkeit, aber nicht überall für Zustimmung. Langjährige Kritiker der als Religion auftretenden Organisation gaben öffentlich zu bedenken, dass diese Aktionen sowohl illegal als auch wenig sinnvoll seien.

Besondere Aufmerksamkeit wurde Mark Bunker zuteil. Der amerikanische Fernsehjournalist veröffentlicht schon seit Jahren unter dem Namen "Xenu TV" Scientology-kritische Videos im Web. Bunker schlug Anonymous per YouTube-Clip vor, seine Aktivitäten in die reale Welt zu verlagern. Friedliche Proteste vor Scientology-Zentralen statt Amokattacken im Netz – erstaunlicherweise fand die Idee regen Anklang.

Seitdem geht Anonymous im Monatsrhytmus international gegen Scientology auf die Straße. Die erste Demonstrationswelle fand am 10. Februar statt, die zweite am 15. März und die dritte am letzten Samstag, dem 12. April. Bisher liefen die Veranstaltungen überwiegend friedlich, bei der letzten Aktion wurden weltweit etwa 6000 Demonstranten gezählt. Die nächste Aktion ist für den 10. Mai geplant.

Wo es erlaubt ist, gehen die Aktivisten maskiert auf die Straße. Oftmals tragen sie auch Anzüge oder sind anderwertig verkleidet. Der Mummenschanz macht den Demonstranten zum einen Spaß, zum anderen soll es vor Repressalien durch Scientology schützen. Vergangene Erfahrungen zeigen, dass dies nicht nur Paranoia ist.

Scientology nimmt die Bewegung offenbar sehr ernst. Wenige Tage nach den ersten DDoS-Wellen nahm die Organisation umgehend die Dienste der Firma Prolexic in Anspruch, um ihre Domains vor weiteren Angriffen zu schützen.

Vor der zweiten Demonstrationswelle veröffentlichte Scientology ein aufwendig produzierte Video mit dem Titel "Anonymous Exposed", das die Bewegung als Cyber-Terroristen zu diskreditieren suchte. Zusätzliche Videos legten die Identitäten von fünf Anonymous-Mitgliedern offen – mit Foto, Online-Alias, Name und Wohnort. Die Einschüchterungsversuche blieben erfolglos; die zweiten weltweiten Proteste waren fast 9000 Teilnehmer stark.

Jetzt scheint sich Scientology wieder auf altgediente Scientology-Gegner zu konzentrieren, die Anonymous unterstützen und beratend zur Seite stehen. Tory Christman war 30 Jahre lang Teil von Scientology und gehört mittlerweile zu den entschiedensten Gegnern der Organisation. Mark Bunker zählt zu den besonnensten Kritikern von Scientology; er war nie Mitglied. Wer hinter den aktuellen Sperrungen steht, ist derzeit unbekannt.

Am Mittwoch appellierte Bunker noch an Anonymous, sich für die Wiederherstellung des Accounts von Christman einzusetzen. Mit Erfolg: Der Account "ToryMagoo44" ist mittlerweile wieder aktiv. Jetzt musste Bunker über das Konto seiner Mitstreiterin um Hilfe in eigener Sache bitten. Bunker will das komplette Interview mit Jason Beghe auf jeden Fall im Laufe des Wochenendes ins Netz stellen – auf YouTube oder einem anderen Video-Portal. (ghi)