Geplanter großer Spähangriff stößt auch in der Union auf Bedenken

Der Entwurf für die Novelle des BKA-Gesetzes entzweit weiter die Parteien. Neben Datenschützern, SPD-Politikern und Vertretern aus der Opposition hat der Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach die optische Überwachung Unverdächtiger kritisiert.

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Der Entwurf für die Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) entzweit weiter die Parteien. Neben Datenschützern, SPD-Politikern und Vertretern aus der Opposition hat auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach das Ausmaß der geplanten optischen Wohnraumüberwachung kritisiert. Einen großen Spähangriff auf die Wohnungen unbescholtener Bürger bezeichnete der CDU-Politiker als äußerst fragwürdig. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gewollt ist und Gesetz werden soll", zeigte er sich gegenüber der Westdeutschen Zeitung verwundert über die Absprachen zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD).

Im Prinzip begrüßte Bosbach die geplante Ausweitung der BKA-Befugnisse: "Neben der akustischen ist eine optische Wohnraumüberwachung Verdächtiger notwendig, um Aussagen, die getroffen werden, den jeweiligen Personen zweifelsfrei zuordnen zu können", sagte er. Dabei müsse der Kernbereich privater Lebensgestaltung für den Staat prinzipiell tabu bleiben. "Wenn es intim wird und die Informationen nicht mehr der Verhinderung gefährlicher Verbrechen dienen, müssen die Behörden auf den Aus-Knopf drücken." Bosbach sprach sich zugleich aber auch für die so genannte Richterband-Regelung aus, bei der die Aufnahmebänder gerade nicht abgestellt werden sollen: Wenn in einem Raum links gebetet und rechts an einer Bombe gebastelt werde, müsse "ein Richter entscheiden, was verwertet wird und was nicht".

Zypries hat ihren bisherigen Widerstand gegen die Richterband-Lösung aufgegeben, sodass sie im Entwurf sowohl für den großen Lausch- und Spähangriff als auch bei heimlichen Online-Durchsuchungen festgeschrieben wird. Mit den klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für ein zweistufiges Prüfverfahren beim Berühren des eigentlich unantastbaren Kernbereichs im Rahmen von Netzbespitzelungen geht das Vorhaben aber laut Süddeutscher Zeitung locker um. Die abgegriffenen Computerdaten sollen demnach nicht etwa von einem unabhängigen Richter überprüft werden. Die Durchsicht soll vielmehr "von zwei Bediensteten des Bundeskriminalamts" vorgenommen werden, "von denen einer die Befähigung zum Richteramt hat". Allein wenn die Polizeibeamten Zweifel haben, sollen sie die ausgespähten Informationen einem Richter vorlegen.

Trotz der sich damit aufdrängenden Zweifel an der Einhaltung der Leitlinien aus Karlsruhe, die etwa durch das Umgehen der Notwendigkeit einer konkreten Gefahr für höchste Güter bei Online-Razzien im Referentenentwurf bekräftigt werden, hatte das Innenministerium bereits am Donnerstag mehrfach die Übereinstimmung des Vorstoßes mit dem Grundgesetz reklamiert. Sprecher des Innen- und des Justizministeriums verteidigten diese Ansicht am gestrigen Freitag erneut.

Der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) bezeichnete die geplanten Regelungen laut Münchner Merkur dagegen als verfassungswidrig und drohte nach seinen Beschwerden gegen verdeckte Online-Durchsuchungen und den großen Lauschangriff mit einer neuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Durch die Gesetzesnovelle würden die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten verschwimmen. "Das ist neuer Stoff für Verfassungsbeschwerden", erklärte der Altliberale. Der Rechtsstaat sei auf der "Rutschbahn". Auch ein Sprecher des Bundesdatenschutzbeauftragten kritisierte die geplante Videoüberwachung als "nicht zulässig".

Im Gegensatz zu Bosbach verteidigten andere Unionspolitiker die geplante Dimension des Spähangriffs. "Wenn wir da nicht überwachen, dann gehen uns viele Erkenntnisquellen verloren", sagte der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU). Terroristen "konspirieren nicht in ihrer eigenen Wohnung". Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stellte sich hinter die Regelung. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl meinte, die Möglichkeit des Spähangriffs stehe im Grundgesetz. Nun werde der "irreführende Eindruck" erweckt, als sei dies neu. Im Entwurf zum BKA-Gesetz sei die Vorschrift prinzipiell bereits lange enthalten. Würde die Novelle "torpediert", wäre dies "sicherheitspolitisch nicht mehr zu verantworten". Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte ebenfalls, dass die Fahnder "beim Bombenbasteln zusehen dürfen" müssten.

Christian Graf von Pestalozza, Verfassungsrechtler von der Freien Universität in Berlin, dämpfte derweil Baums Hoffnung auf Karlsruhe: Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiere, biete keine echte Handhabe, sagte er dem Berliner Tagesspiegel. Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit werde grünes Licht für einen schier "unbegrenzten" Einsatz technischer Überwachungsmittel gegeben. Eine Beschränkung bei präventiven Maßnahmen liege freilich im Gebot der Verhältnismäßigkeit. Schärfer seien die Regeln bei heimlichen Online-Durchsuchungen. Dafür hätten die Verfassungsrichter extra ein neues IT-Grundrecht geschaffen und so "den Computer stärker geschützt als die Wohnung".

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (ad)