IPv4: Countdown-Vergabepolitik in der Diskussion

Angesichts der knapper werdenden Ressourcen an IPv4-Adressen wird darüber debattiert, ob eine spezielle Vergabepolitik für die letzten großen Blöcke von IANA an die RIRs nötig ist.

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Von
  • Monika Ermert

Voraussichtlich spätestens 2011 gehen bei der Internet Assigned Numbers Authority (IANA) die IPv4-Adressen aus. Bei den [# 2543 regionalen IP-Registries] (RIRs), die den Mangel bald zu verwalten haben, ist nun eine Debatte entbrannt, ob eine spezielle Vergabepolitik für die letzten großen Blöcke von IANA an die RIRs nötig ist. Insbesondere Vertreter aus Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten halten dafür, dass die drei "alten" RIRs in Europa, Nordamerika und Asien deutlich besser mit Adressraum versorgt sind. Daher sollte die Zuweisung der letzten 25 IPv4/8-Blöcke (nach CIDR-Terminologie) gleichmäßig zugeteilt werden – fünf Blöcke für jede RIR. Allerdings würde der aktuelle Adressverbrauch bei RIPE, ARIN und APNIC bei einer solchen Verteilung dafür sorgen, dass sie bereits Jahrzehnte vor dem LACNIC- und AfriNIC-Pools ohne IPv4-Adressen dastehen. Daher gibt es zwei Gegenvorschläge und einen Streit die Bedeutung einer "gerechten" Verteilung.

Rund vier Fünftel aller IPv4-Adressen waren laut Kalkulationen des APNIC-Cheftechnologen Geoff Huston im September 2007 vergeben. Der in den vergangenen Jahren erheblich gestiegene Bedarf an Adressen veranlasste die Experten in diesem Jahr zur Korrektur früherer Schätzungen, wie das verbleibende Fünftel ausreichen werde. IPv6 wurde vom Markt bislang nur zögerlich angenommen. In den vergangenen Monaten war die Umstellung auf IPv6 Thema bei verschiedenen Konferenzen. In dieser Woche widmet die Internet Engineering Task Force (IETF) der "IPv6-Transition" ebenfalls eine ausführliche Diskussion.

Erfahrene IP-Adressexperten halten eigene Vergaberegeln für den Countdown gar nicht für notwendig. Vielmehr solle einfach so rasch wie möglich dafür geworben werden, das Nachfolgeprotokoll IPv6 einzuführen. Gert Doering, IPv6-Experte bei der Münchner SpaceNet AG und einer der Leiter der Arbeitsgruppe Adresspolitik beim RIPE hält abgesehen davon die von Roque Gagliano von der Regulierungsbehörde in Uruguay und Hytham Zakaria EL Nakhal von der National Telecom Regulatory Authority in Ägypten vorgeschlagene Countdown-Politik kaum für durchsetzbar. Ein /8-Block, das entspricht über 16 Millionen einzelnen IP-Adressen, wird laut Doering aktuell in Europa, Asien und Nordamerika innerhalb von einem halben Jahr aufgebraucht, in Afrika kann man damit schätzungsweise fünf bis zehn Jahre auskommen.

Konsensfähig unter allen fünf RIRs, die unter dem Dach der Number Ressource Organisation (NRO) zusammenarbeiten, sei daher schon eher der Gegenvorschlag aus der APNIC-Region. Toshiyuki Hosaka vom japanischen JPNIC empfiehlt darin, erst dann von der normalen, verbrauchsbezogenen IANA-Zuteilung abzuweichen, wenn nur noch fünf ganze /8-Blöcke im Pool sind. Dann soll jede Registry einen /8-Block bekommen. Auch damit könnten insbesondere die afrikanischen und lateinamerikanischen Provider für eine "sanfte Landung" sorgen.

Mit Blick auf die bislang bescheidene Ausstattung der AfriNIC-Region mit Adressen gebe es durchaus Argumente für eine Besserstellung afrikanischer Provider, schrieb Bill Woodcock, CTO beim Packet Clearing House, auf einer der Mailing-Listen, auf denen die Debatte tobt. Ein IPv6-fähiger Router koste etwa ein Zehntel des Jahresgehaltes eines Durchschnittsamerikaners, andererseits aber das Zehnfache eines durchschnittlichen Jahresgehaltes eines Afrikaners, rechnet Woodcock vor. Der Übergang zu IPv6 sei für afrikanische Provider daher eine echte Kostenfrage. Sie bräuchten mehr Zeit, um von der Verbreitung beziehungsweise einem Wiederverkauf der Hardware zu profitieren. Noch besser ziehe außerhalb Afrikas allerdings der Hinweis, dass sich afrikanische Länder ohne Entwicklungsmöglichkeit im IPv4-Adressraum kaum zu attraktiven Geschäftspartnern im E-Commerce entwickeln könnten.

Woodcock mahnt gleichzeitig, neben einer Lösung für die "letzten Reserven" auch an Regeln für einen möglicherweise entstehenden Markt zu denken. Die Insider gehen inzwischen davon aus, dass sich der Handel von IPv4-Adressen kaum noch verhindern lasse, sobald IPv4 zur knappen Ressource wird. Eine Reihe der RIR-Experten halten es für sinnvoll, auch dafür klare Regeln zu formulieren.

Ein neuer Vorschlag vom Cisco-Ingenieur Tony Hain will nun das Weiterreichen von Adressen zwischen den RIRs ermöglichen. Sobald eine IP-Adressvergabestelle nur noch für 30 Tage IPv4-Adressraum zur Verfügung hat, solle überprüft werden, für wie lange die anderen vier RIRs noch IPv4-Adressraum haben. Die Vergabestelle mit den größten Reserven solle dann gegenüber der anfragenden RIR als Vergabestelle fungieren. Wenn die Adressen bei allen knapp werden, muss die anfragende RIR im Wochenrhytmus nachhaken, ob noch Adressen da sind. Auf diese Weise könnte keine RIR Adressen zurückbehalten.

Hain schlägt vor, auf eine andere Countdownpolitik komplett zu verzichten und stattdessen weltweit alles zu verteilen, was da ist. Der Vorschlag solle auch mit dem "bizarren Manövrieren" der verschiedenen RIRs aufräumen, die ihm zuweilen vorkomme wie der Zank zwischen zerstrittenen Geschwistern über den letzten Keks. Die derzeitige Praxis einer Vergabe in ganzen Blöcken durch die IANA führe zu Taktiererei. Auch Doering spricht von einem gewissen Mißtrauen, das sich in den Debatten zeige. Um dem entgegenzutreten hätten sich die großen RIRs bereits selbst verpflichtet, nicht mehr wie bisher zwei /8-Netze auf einmal abzufragen – also für ein Jahr vorzusorgen. Aktuell werde immer nur zwei /8-Netze bestellt, obwohl die Regel die volle Bedarfsdeckung zulässt. Die Debatten dürften mit dem Näherrücken des echten Countdown noch intensiver werden. (Monika Ermert) / (anw)