Forschungsreport: Google muss zerschlagen werden

Eine Studie der TU Graz warnt mit drastischen Worten vor der "Bedrohung der Menschheit" durch den Suchmaschinenprimus und dessen angebliches Monopol bei der Wirklichkeitsauslegung im Verbund mit der Wikipedia.

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Eine Studie der TU Graz warnt mit drastischen Worten vor der "Bedrohung der Menschheit" durch Google. Der Suchmaschinenprimus schicke sich nicht nur an, den Schutz der Privatsphäre auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, heißt es in dem 187-Seiten umfassenden Bericht "über die Gefahren und Chancen großer Suchmaschinen unter besonderer Berücksichtigung von Google" (PDF-Datei). Das "monopolistische Verhalten" des Marktführers bedrohe vielmehr, "wie wir die Welt sehen und wie wir als Individuen wahrgenommen werden". Damit gerate sogar die gesamte Weltwirtschaft in Gefahr. Google habe in unerhörter Art und Weise Macht angehäuft, sodass ein Gegenangriff überfällig sei.

Der Grazer Informatikprofessor Hermann Maurer ruft als Betreuer der Materialsammlung darin konkret die EU-Kommission und das EU-Parlament auf, zunächst "das Monopol Googles als Suchmaschine zu brechen". Dies könne etwa durch die finanzielle Unterstützung der Entwicklung zahlreicher spezialisierter Suchmaschinen für Bereiche vom Handwerk bis zur Medizin geschehen. Dies sollten von gemeinnützigen Einrichtungen wie Universitäten oder Regierungseinrichtungen betrieben werden, die unter ständiger öffentlicher Kontrolle stehen. Weiter für nötig betrachtet Maurer die Einleitung von kartellrechtlichen Maßnahmen auf allen Ebenen gegen Google sowie jeder andere Firma, die ausgefeilte Suchtechniken mit anderen mächtigen Werkzeugen für das Data Mining vereine. Der Marktführer demonstriere eine solche Verknüpfung mit Zusatzdiensten wie Google Mail, Google Earth, YouTube oder für günstige bis kostenlose Internetzugänge.

Ausgangspunkt des Reports waren nach Angaben der Verfasser "schwere Bedenken über Plagiate durch die Nutzung von Google". Als Basis und Schwerpunkt des ersten Teils der Sammlung dienen hier Erkenntnisse des Salzburger Medienwissenschaftlers Stefan Weber, der in der Telepolis-Reihe ein Buch über das "Google-Copy-Paste-Syndrom" herausgebracht und eine entsprechende Artikelserie (Textueller Missbrauch, Die abschreibende Zunft, Wissenschaft als Web-Sampling, Contentklau in Blogs und anderswo, Reuse, Remix, Mashup – also: Plagiieren erlaubt!) im Netz veröffentlicht hat. "Wir bewegen uns mit enormer Geschwindigkeit vom Gutenberg- zum Google-Universum", folgert die Grazer Analyse daraus. Die Sicht auf die Wirklichkeit werde immer stärker von einem "Ergoogeln der Realität" geprägt, wobei aufgrund der häufigen Verweise des Suchmaschinenvorreiters auf die Wikipedia genauer genommen von einer "Google-Wikipedia-Variante der Wirklichkeit" gesprochen werden müsse.

Verschwörungstheorien über eine enge Kooperation zwischen dem Netzführer und der Online-Enzyklopädie gibt es schon länger. Der jetzt veröffentlichte Bericht will "starke Anzeichen" für eine solche Zusammenarbeit zur Formung der Weltsicht eines Großteils der Nutzer gefunden haben. So habe man statistisch nachweisen können, dass zufällig ausgewählte Artikel in der Wikipedia durch die Bank bei Google in den Ergebnislisten höher ausgespuckt würden als bei Konkurrenten. In Zahlen: Während bei Google für willkürlich gewählte deutschsprachige Suchbegriffe in 70 Prozent der Fälle Wikipedia den ersten Treffer dargestellt haben soll, seien es bei Yahoo nur 50 Prozent gewesen, bei Altavista nur 45 Prozent und bei Microsoft Live nur 21 Prozent.

Gleichzeitig kommt die Untersuchung zu dem Schluss, dass der Marktführer "beinahe universelles Wissen" darüber erreicht habe, was auf der Welt gerade geschieht. Damit könne der Konzern an den Börsen ohne Risiko Aktien kaufen und verkaufen. In manchen Bereichen sei Google mittlerweile imstande, gesichert die Entwicklung vorauszusagen. Spieltheoretisch basiere der Handel an Börsen jedoch auf dem Faktum, dass niemand über vollständige Information verfüge und daher manchmal verliere und manchmal gewinne: "Jeder Spieler, der nie verliert, gefährdet daher die Grundfeste des Kapitalmarktes."

Dem freien Markt kann der Wettbewerb im Suchmaschinenbereich gemäß der Analyse keinesfalls weiter überlassen bleiben. Dieser für die Wissensgesellschaft sensible Sektor müsse vielmehr genauso wie Ausbildung, Verkehrsinfrastruktur oder Medikamentenzulassung der staatlichen Grundversorgung zugeschrieben und entsprechend im Sinne des öffentlichen Gutes verwaltet werden. Es sei wichtig zu erkennen, dass auch das Internet eine solche Regulierung benötigt", schreiben die Autoren bezogen auf die grundlegenden Strukturen zur Navigation durch das Netz. Wenn Regierungen international hier kein gemeinsames Verfahren fänden, müssten regionale Wettbewerbshüter eingreifen.

Maurer begrüßt in diesem Zusammenhang die ausgeweitete Untersuchung, die die EU-Kommission über den Zusammenschlussevon Google mit dem Online-Vermarkter DoubleClick durchführt, als ersten richtigen Schritt. Die EU-Kommission monierte erst vor zwei Wochen, die 3,1 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme der Anzeigenfirma durch den Suchmaschinenbetreiber könne den Wettbewerb am Markt für Werbevermittlung im Internet behindern. Insbesondere will sie im Genehmigungsverfahren die Frage beleuchten, ob DoubleClick ohne den Aufkauf zu einem ernsthaften Konkurrenten für Google geworden wäre.

Der Erfolg von Google erscheint Beobachtern seit längerem unheimlich. Das strahlende Image des Börsenlieblings mit dem bunten Logo hat in der letzten Zeit Kratzer bekommen. Immer wieder gerät Google beim Thema Datenschutz in Kritik. Auch die notorische Geheimniskrämerei und der große Expansionsdrang des Konzerns sowie sein Kuschelkurs gegenüber der chinesischen Regierung haben Augenbrauen in die Höhe schnellen lassen. Alternativen zum Marktführer gibt es brauchbare oder sogar teils bessere, doch schon allein die Gewöhnung treibt eine Mehrzahl der Nutzer immer wieder in die Arme des Google-Imperiums. In der EU versuchen sich Deutschland und Frankreich mit den inzwischen getrennt laufenden Projekten Theseus und Quaero um eine Fortentwicklung der Suchmaschinen-Technik, doch Kritiker setzen wenig Hoffnung in diese Ansätze. Bemühungen um die Entwicklung dezentraler, verteilter Suchmaschinen stecken derweil meist noch in den Kinderschuhen.

Siehe dazu:

(Stefan Krempl) / (jk)