Kripo warnt vor rechtsfreiem Cyberspace

Bei den 3. Berliner Sicherheitsgesprächen fordert der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Online-Durchsuchungen als Standardwerkzeug für die Strafverfolgung im Internet, lehnt Webseitensperren dagegen vehement ab.

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Klaus Jansen, Vorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sieht in Online-Razzien den allein Erfolg versprechenden Ansatz für die Strafverfolgung im Internet. "Nichts anderes" würde im Cyberspace "funktionieren", als möglichst rasch Computersysteme heimlich zu durchsuchen, sagte der Kripo-Vertreter am heutigen Montag im Rahmen der 3. Berliner Sicherheitsgespräche zum Thema "Der virtuelle Tatort" in Berlin. Nur so könnte klar werden, welche Beweismittel ein Täter auf einem Rechner abgelegt habe. Anders könne die Polizei das Gewaltmonopol des Staates angesichts der zunehmenden Internetkriminalität kaum wahrnehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte für den Einsatz des Bundestrojaners im vergangenen Jahr wenig Raum gelassen und ein Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen formuliert. Der Gesetzgeber hat dem Bundeskriminalamt (BKA) in Folge Befugnisse zum verdeckten Zugriff auf Festplatten und andere Rechnerkomponenten zunächst allein zur Terrorabwehr gegeben. Doch damit will sich die Polizeiführung nicht abfinden. So hatte vergangene Woche bereits BKA-Präsident Jörg Ziercke Kompetenzen für heimliche Online-Durchsuchungen zur Aufklärung der sich "industrialisierenden" Cyberkriminalität gefordert.

Die Ermittler fühlen sich derzeit trotz erweiterter Fahndungsbefugnisse und der gewünschten Vorratsspeicherung im Netz "allein gelassen", meint Jansen. Im Internet werde "unser Rechtsstaat immer unfähiger zur Reaktion", klagte auch Erhard Rex, Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein. Die Justiz betreibe nur noch eine reine "Kriminalitätsverwaltung", die Strafverfolgung sei "ausgepowert". Staatsanwaltschaften würden "zugebuddelt" mit Anfragen zur Verfolgung von IP-Adressen etwa von der Musikindustrie. Dazu kämen "bandwurmähnliche", nicht mehr verständliche Gesetze und eine höchstrichterliche Rechtsprechung, "die allen Sicherheitsgesetzen die Zähne gezogen hat". Im Cyberspace sei der Staat "ohnmächtig".

Sollte Karlsruhe auch die Vorratsdatenspeicherung weiter stutzen, würde laut Rex eine "flächendeckende Zone der Nichtverfolgbarkeit entstehen". Keiner wolle zwar eine "kalte Sicherheitsgesellschaft". Jedes Auto habe aber ein Kfz-Kennzeichen, plädierte der Staatsanwalt für eine stärkere Regulierung der Internetnutzung. Zumindest sollten alle vorhandenen Möglichkeiten zur Strafverfolgung ausgeschöpft werden, um das "Dunkelfeld" aufzuhellen. Ein Dorn im Auge sind Rex dabei vor allem Anonymisierungsdienste.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sprach bei der Bekämpfung von Delikten im Netz von einem "Balance-Akt". So betreffe die Vorratsdatenspeicherung etwa "ganz überwiegend legales Verhalten". Die dabei anfallenden Datenbestände könnten selbst Gegenstand von Missbrauch werden. Es helfe zudem nicht, auf der Suche nach einer Stecknadel die Heuhaufen zu vergrößern, ohne Möglichkeiten zur sinnvollen Auswertung zu haben. "Nur weil wir alle Spuren hinterlassen, kann es nicht darum gehen, dass man sie ständig verwendet." So würden hierzulande auch nicht alle Nummernschilder überall aufgezeichnet. Beunruhigt zeigte sich der Datenschützer, dass beim Einsatz des Bundestrojaners bisher von speziell anzufertigender Untersuchungssoftware in Form von "Unikaten" die Rede war. Nun erkläre die Kripo, dass ein entsprechender verdeckter Zugriff auf IT-Systeme "innerhalb einer halben Stunde machbar" sei.

Insgesamt mangelt es laut Schaar nicht an gesetzlichen Vorschriften für das Internet, unter anderem seien auch die Hackerparagraphen verschärft worden. Wichtiger sei es, Justiz, Polizei und Datenschützern mehr Ressourcen zur Durchsetzung der bestehenden Regeln zur Verfügung zu stellen. Die Hersteller von IT und Kommunikationstechnik müssten zudem stärker in die Verantwortung gezogen werden. So könne es etwa nicht angehen, dass offenbar schnurlose DECT-Telefone überwiegend ohne Verschlüsselung der übertragenen Daten ausgeliefert würden und leicht abhörbar seien.

Michael Bartsch von T-Systems sprach sich dagegen dafür aus, die Nutzer zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn ein User seinen Rechner nicht ausreichend abdichte und dieser Teil eines Angriffsnetzes werde, müsse dem Unvorsichtigen ein Teil der Verantwortung übertragen werden. Die Großindustrie versuche bereits "mit sehr viel Geld, ihre Systeme abzusichern", betonte der Telekom-Abgesandte. Viele kleinere Unternehmen würden aber auf das Restrisiko setzen. Um auch technisch versierte international agierende Täter zu fangen, bedürfe es zudem einer "globalen Rechtsordnung". Andernfalls würden im Netz der Vorratsdatenspeicherung nur Eierdiebe hängen bleiben". Gemeinsam mit einem Vertreter der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) plädierte Bartsch dafür, Polizeibeamte mit Unterstützung der Wirtschaft in öffentlich-privater Partnerschaft besser für die Fahndung im Netz auszubilden.

Jansen untermauerte derweil seine Kritik am Vorstoß von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), Webseiten mit Kinderpornographie vor deutschen Surfern wegzusperren. "Ich will an die Täter ran", erklärte der Fahnder. Dabei würde die Initiative der "IT-Fachfrau" aus der Bundesregierung nicht helfen. Dafür mache China bereits über eine Kampagne gegen Kinderporno Werbung für die eigenen Filterinfrastrukturen, mit denen das Regime letztlich "Dissidenten in den Würgegriff nehme". Jansen warf die Frage auf, ob sich Deutschland tatsächlich in ein solches System "reinlullen" lasse wolle, nur weil das Thema Kinderpornographie so emotional besetzt sei. (Stefan Krempl) / (vbr)