RottenNeighbor vom eigenen Erfolg überrannt

Das Online-Portal für die Bewertung der "bösen Nachbarn" ist von großen deutschen Internetprovidern aus seit einigen Tagen nur schwer zu erreichen. Der US-Betreiber räumte ein, dass ein sprunghafter Anstieg der Zugriffe aus Übersee Probleme bereite.

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Die umstrittene Website RottenNeighbor.com ist von großen deutschen Internetprovidern aus derzeit teilweise nur schwer zu erreichen. Seit einer Woche kochen in Online-Foren und Weblogs daher Gerüchte hoch, die eine Sperrung des Online-Portals für die Bewertung der sprichwörtlichen "bösen Nachbarn" fürchten. Der Empörungssturm legte sich nur kurzzeitig Mitte der Woche, als die Plattform vorübergehend wieder ohne größere Probleme erreichbar war. Inzwischen werden Abrufwünsche aus den Netzen vieler Zugangsanbieter hierzulande aber vom eigentlichen Serverbetreiber in den USA erneut nicht verarbeitet. Alle Beteiligten außer dem Betreiber der Seite, die Datenschützern und Medienwächtern seit Längerem ein Dorn im Auge ist, haben den Vorwurf der Zensur zurückgewiesen; alle von heise online befragten Provider erklärten, dass es keine Sperren bzw. richterliche Sperrverfügungen gegen die Site gebe. Brant Walker, der Gründer des als "Denunziationsdienst" verschrienen Angebots, räumte nun technische Probleme aufgrund der hohen Last an Anfragen ein.

Der Erfinder von RottenNeighbor sprach von einem sprunghaften Anstieg in deutschen Zugriffen "von mehreren tausend auf mehrere hunderttausend am Tag" innerhalb des vergangenen Monats. An die Strippe bekommen hat Walker das Online-Magazin "Der Westen", das Bloggern zufolge durch eine intensive und frühe Berichterstattung über die Seite nicht ganz unbeteiligt sei am wachsenden Interesse an dem "digitalen Pranger" für ungeliebte Anwohner. Zuvor hatte der Betreiber tagelang nicht auf Anfragen von Journalisten und Nutzern über das von ihm als einzige Möglichkeit für Kontakte zur Verfügung gestellte Webformular geantwortet.

Jetzt führte Walker aus, dass der Ansturm aus Übersee "zu viele unserer Ressourcen beansprucht" habe. Es seien daher für einige Tage Konfigurationsarbeiten am Server durchgeführt worden, die aber offenbar noch immer nicht die hohe Zahl an Anfragen bewältigen können. Ob RottenNeighbor gezielt deutsche Nutzer aussperrt und dabei mit kleineren Providern oder statischen IP-Adressen surfende Zeitgenossen verschont, ließ der Betreiber offen; Überprüfungen des Netzwerkverkehrs ergeben auf jeden Fall immer wieder, dass die Verbindung zur Site erst an Routern des RottenNeighbor-Hosters scheitert.

Zuvor hatte der Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien (LfM), Norbert Schneider, das Webangebot mit Blick auf den Mediennutzerschutz scharf kritisiert. Das US-Portal ermögliche auch in Deutschland "öffentliche denunziatorische Aussagen und Beschimpfungen mit erheblichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen". Der Anbieter nutze dafür Kartenmaterial von Google Maps. Häuser und Wohnungen könnten so leicht erkennbar ausgewählt werden. Praktisch führe das dazu, dass Menschen gezielt und identifizierbar diskriminiert würden.

Der Medienwächter appellierte mit Unterstützung von Datenschützern daher an den Suchmaschinenbetreiber, die Nutzung seines Kartendienstes für das Cyber-Mobbing zu untersagen. In der Folge betonte Schneider über die Anmahnung zur Selbstregulierung hinaus, dass es ihm lieber wäre, "der Gesetzgeber hätte mir Instrumente gegeben, mit denen ich das öffentliche Denunzieren einfach abstellen könnte". Als "widerliches Angebot" und Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bezeichnete auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die Seite. Ein Sprecher von Google erklärte dagegen, dass es "nicht unsere Aufgabe sein kann, da als Sheriff aufzutreten". Man habe die Kritik aber mit der Bitte um Beachtung an den Plattformbetreiber weitergeleitet. Im September soll es nun weitere Gespräche zwischen der LfM und dem Suchmaschinenprimus geben.

Sprecher der fünf großen Zugangsanbieter 1&1, Arcor, Deutsche Telekom, QSC und Telefonica wiesen zugleich gemeinsam mit Google den Verdacht von sich, etwas mit den Problemen bei der Erreichbarkeit der Site zu tun zu haben. "Wir haben nichts gesperrt" und es gebe derzeit auch keine Informationen über Bemühungen um gerichtliche Verfügungen zur Blockade des Angebots, lautete die Antwort unisono. Auch beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eco lagen keine Informationen über eventuelle Sperrungsanordnungen vor. Klare Linie der Zugangsprovider sei es, freiwillig keine der in der Regel leicht umgehbaren, technisch aufwendigen und Zensurprobleme nach sich ziehenden Netzblockaden einzurichten. Die Schwierigkeiten lägen voraussichtlich beim Inhalteanbieter selbst.

In den Streit um RottenNeighbor hat sich nach Angaben einer Sprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten in Nordrhein-Westfalen inzwischen auch die Europäische Datenschutzbehörde eingeschaltet. Ergebnisse seien bisher aber noch nicht greifbar. Zwar würden Verwaltungsanordnungen und Bußgelder in die USA versandt. Diese bleibe aber wirkungslos, da in den USA die Meinungsfreiheit größer geschrieben werde und andere Datenschutzvorschriften gälten. Andere Rechtsexperten reagieren auf Beschwerden von Bürgern, die sich von Verleumdung betroffen sehen, mit Schadensersatzansprüchen, die über US-Anwälte eingereicht werden. Aber auch dieser Weg verspreche nur geringe Erfolgsaussichten. (Stefan Krempl) / (jk)