"Die Leute mĂĽssen erst vor die Wand fahren"

Drei Fragen an Carver Mead: Der Schöpfer des Begriffs "Moore's Law" rät den Prozessordesignern von heute, mit neuen Technologien wie Quanten- oder neuromorphen Computern zu experimentieren.

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Von
  • Tom Simonite

Drei Fragen an Carver Mead: Der Schöpfer des Begriffs "Moore's Law" rät den Prozessordesignern von heute, mit neuen Technologien wie Quanten- oder neuromorphen Computern zu experimentieren.

Carver Mead ist der Mann, der 1970 den Begriff „Moore’s Law“ prägte. Laut dem Moore’schen "Gesetz" verdoppelt sich die Zahl der Transistoren auf einem Prozessor und damit dessen Leistungsfähigkeit etwa alle 18 bis 24 Monate. Der Informatiker hat maßgeblichen Anteil daran gehabt, dass dieser Trend bis heute anhält. Mead steckt hinter dem Ansatz der „Very Large Scale Integration“, einem Design für komplexe Chips, das auch heute noch einflussreich ist. Auch sonst hat er einige Pioniertaten vollbracht und am California Institute of Technology (Caltech) viele heutige Berühmtheiten des Silicon Valley als Professor unterrichtet. In den 1980ern frustrierten ihn die Beschränkungen herkömmlicher Computer jedoch so sehr, dass er sich einem neuen Vorbild für Prozessorarchitekturen zuwandte: den Gehirnen von Säugetieren. 30 Jahre später verfolgen diverse Forschungsgruppen diesen Ansatz. In seinem Büro am Caltech erklärte der 79-jährige Technology Review, warum Informatiker stärker mit neuen Arten von Computertechnik experimentieren sollten.

Technology Review: Herr Mead, was sind die groĂźen Probleme, die die Chip-Industrie heute anpacken muss?

Carver Mead: Ein Problem, das ich seit Jahren anspreche, ist die Abwärme von Chips. Sie werden so heiß, dass man sie nicht noch schneller machen kann.

Es ist ein wiederkehrendes Thema in der Evolution von Technik, dass etwas, was anfangs den Erfolg einer Gruppe oder Firma oder gar einer ganzen Branche ausmachte, sich in den nächsten Generationen als Behinderung herausstellt. Rechner mit mehr Strom immer schneller zu machen, hat allen Beteiligten viel eingebracht. Der Übergang zu Multikern-Prozessoren hat dabei geholfen. Doch jetzt sind wir bei acht Kernen angekommen, und wie es aussieht, geht es nicht mehr richtig weiter. Die Leute müssen erst vor die Wand fahren, bevor sie aufwachen.

Die Abwärme von Chips war ein Grund, warum ich mich neuromorphen Architekturen zugewandt habe. Ich überlegte, wie man massiv parallel Systeme konstruieren könnte. Das einzige bekannte Beispiel hierfür waren die Gehirne von Tieren. Wir bauten also viele Systeme wie die Verschaltungen der Retina oder der Hörschnecke im Innenohr – vieles davon hat funktioniert. Und viele meiner Studenten arbeiten immer noch daran. Die Aufgabe ist aber viel schwerer, als ich am Anfang dachte.

TR: Sie haben in der letzten Zeit an einem neuen, vereinheitlichen Konzept für die Erklärung sowohl von elektromagnetischen als auch von Quantensystemen gearbeitet. In ihrem Buch „Collective Electrodynamics“ beschreiben sie dieses Konzept. Glauben Sie, dass es dabei helfen könnte, eine neue Art der Elektronik zu entdecken?

Mead: Meine persönliche Vorgeschichte hierzu ist die Frustration darüber, dass die Leute heute im Wesentlichen nur Hacks zusammenpacken. Man löst ein Problem auf diese Art, ein anderes Problem auf jene Art, aber für mich ist das ein Symptom dafür, dass es keine zusammenhängende Konzeptualisierung gibt. Das frustriert mich deshalb, weil ich das Thema immer spannend fand.

Die Optik-Typen haben einen Weg gefunden, auf dem sie sich da durchwursteln, im Gegensatz zu der Art und Weise, wie die Quantenmechanik gelehrt wird. Charlie Townes [der Erfinder des Masers, des Vorläufers des Lasers; die Red.] besuchte damals Werner Heisenberg, Niels Bohr und John von Neumann. Sie sagten ihm: „Junge, du scheinst die Quantenmechanik nicht zu verstehen.“ Tatsächlich war es nicht Charlie, der sie nicht verstand. Die optische Datenübertragung hat fast alles abgelöst, was wir vorher elektronisch gemacht haben. Sie ist viel effektiver. Hart am Quantenlimit zu arbeiten, hat sich ausgezahlt.

Wir wissen noch nicht, wie ein neuartiges elektronisches Gerät aussehen wird. Klar ist aber, dass Transistoren sehr wenig mit Quantenmechanik zu tun haben. Ich selbst stecke da nicht drin, aber ich unterstütze den Ansatz derjenigen, die sich mit dem sogenannten Quantenrechnen beschäftigen. Sie versuchen, reale Maschinen zu bauen, die auf gekoppelten Quantenzuständen basieren. Jedesmal, wenn sie versuchen, etwas Funktionsfähiges zu bauen, lernen sie enorm viel dazu. So entsteht das Neue in der Wissenschaft.

TR: Quantenrechner und neuromorphe Computer sind verglichen mit der Halbleiterindustrie immer noch ein winziges Randphänomen.

Mead: Am Anfang ist das immer so. Der Transistor war zunächst eine kleine, unbedeutende Warze im Antlitz eines großen Industriezweigs. Die Leute sagten damals: „Ah, nett, damit kann man immerhin Hörgeräte bauen.“ Man weiß nie vorher, wann es Klick macht.

Mir fällt da dieser Typ in der Röhrenfabrik von General Electric ein. Er zeigte mir einen integrierten Schaltkreis, der aus einem Haufen von Elektronenröhren bestand, die so klein wie ein Bleistift waren. Die Anordnung hieß Thermionisches Integriertes Mikromodul, kurz TIMM. Sie bündelten diese TIMMs, richteten die flachen Steckverbindungen von Kathode und Stromnetz in verschiedenen Winkeln aus, verlegten dazwischen Leitungen und löteten das Ganze dann zusammen, so dass ein integriertes System entstand. Eine äußerst clevere Technologie.

Wäre nicht die Halbleitertechnologie gekommen, würden wir heute wahrscheinlich mit Thermionischen Integrierten Mikromodulen zum Mars fliegen. Die arbeiteten sehr, sehr zuverlässig, auch wenn sie nicht sonderlich energieeffizient waren. Am Ende ist es dann anders gekommen.

Es kann sein, dass wir in hundert Jahren immer noch viel mit integrierten Schaltkreisen machen, sie im Prinzip so wie heute einsetzen, und für andere Anwendungen gibt es andere Sachen. Ab einem bestimmten Punkt hört die Entwicklung einer Technologie, die konkrete Aufgaben erfüllt, nicht auf, sondern sie wird logarithmisch – die Entwicklungskurve flacht ab, und die Technologie wird Teil einer Infrastruktur, die wir als selbstverständlich voraussetzen. (nbo)