„Man läuft den Entwicklungen immer ein bisschen hinterher.“

Keiner weiß mehr über die Fernsehzuschauer als die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung – sagt zumindest deren Chefin Karin Hollerbach-Zenz.

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Von
  • Ulf Schönert

Keiner weiß mehr über die Fernsehzuschauer als die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung – sagt zumindest deren Chefin Karin Hollerbach-Zenz.

TECHNOLOGY REVIEW: Die Messung der TV-Quoten ist in letzter Zeit immer wieder in die Kritik geraten. Als „ungenau“ bezeichnete sie etwa kürzlich der frühere RTL-Chef Helmut Thoma, der als einer der Väter des heutigen Messsystems gilt. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Karin Hollerbach-Zenz: Im Grundsatz sind wir mit unserem Verfahren sehr zufrieden. Es zählt im internationalen Vergleich zur absoluten Spitzenklasse und liefert für das klassische Fernsehen nach wie vor absolut valide Reichweiten. Aber selbstverständlich sehen wir, dass die technologischen Entwicklungen sehr gravierend sind und uns vor immer neue Herausforderungen stellen. Einerseits ändert sich das Nutzerverhalten, andererseits werden von der Herstellerseite immer neue Features, zum Beispiel neue Fernseh-Apps, entwickelt.

Was bedeutet das für die TV-Quoten?

Wenn man für solche neuen Möglichkeiten die Reichweiten ermitteln will, läuft man den Entwicklungen naturgemäß immer ein bisschen hinterher. So ist es in einem gewissen Grad jetzt auch bei Internet-Fernsehern.

Ihr Wissen über das Sehverhalten nimmt also tatsächlich ab?

Da wird manches maßlos übertrieben. Wir messen ja bereits jetzt, was auf Smart-TV-Geräten geschaut wird. Das herkömmliche Live-Fernsehen sowieso, aber auch Inhalte von Mediatheken oder On-Demand-Angebote von Kabelnetz- und IPTV-Betreibern.

Wo gibt es noch Lücken?

Im Moment können wir noch nicht alles nachvollziehen, was an Videoinhalten auf Smart-TV-Geräten konsumiert wird. Manche Apps, über die Fernsehinhalte geschaut werden, können wir noch nicht in unseren Untersuchungen abbilden. Das hat unter anderem etwas damit zu tun, dass die Gerätehersteller technische Hürden eingebaut haben, die uns im Weg stehen.

Jeder Webseiten-Betreiber hat heute sehr detaillierte nformationen über die Nutzung seines Angebots. Sind die TV-Quoten im Gegensatz dazu nicht viel zu unpräzise?

Nein. Wir haben ja sehr detaillierte und konkrete Angaben über unsere 10500 Panel-Mitglieder. Wir wissen, wie ihre technische Ausstattung aussieht und, jährlich aktualisiert, wo ihre Präferenzen, ihre Interessen, ihre Konsummerkmale liegen. Diese Informationen haben uns die Panel-Teilnehmer freiwillig selbst gegeben, sie wurden nicht wie bei manchen anderen sogenannten Reichweitenstudien aus dem Surfverhalten von den jeweiligen Anbietern gebildet. All diese Informationen können wir mit den jeweils aktuell gemessenen Daten unmittelbar kombinieren. In diesem Punkt befinden sich die Inter-netanbieter gegenüber den Erhebungen, die wir anbieten, qualitativ im Nachteil.

Aber die von Ihnen genannten Nutzermerkmale lassen sich doch aus dem Surfverhalten schließen, oder nicht?

Der Cookie einer Webseite beziehungsweise die entsprechenden Markierungsmöglichkeiten für mobile Geräte beziehen sich immer nur auf jeweils einen Browser an einem Endgerät. Die Problematik besteht darin, diese Informationen mit einer bestimmten Person zu verknüpfen. Heutzutage gibt es doch kaum noch jemanden, der nur mit einem einzigen Gerät online geht. Das unterscheidet die Online-Messung ganz wesentlich von unserem Panel, wo wir ja genau wissen, wie viele Geräte ein Zuschauer hat, und wo wir ihn dazu anhalten können, dass er alle Geräte, die er nutzt, auch bei der Online-Messung erfassen lässt.

Zurzeit werden immer neue Möglichkeiten entwickelt, Smart-TV-Geräte zur Analyse des Zuschauerverhaltens zu nutzen. Ist es nicht abzusehen, dass eine ganze Reihe von Marktforschern all dies auswerten und Ihnen Konkurrenz machen wird?

Das wird sicherlich so sein. Wir glauben aber, dass wir als „Joint Industry Committee“, also als Zusammenschluss aller relevanten Marktpartner, etwas ganz Besonderes anbieten können: ein System, auf das sich alle verständigt haben. Und von dem wir überzeugt sind, dass es das bestmögliche ist. Das ist ein großer Vorteil gegenüber einer individuellen Messung durch einzelne Anbieter.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 80 - Trend: Das Internet wandelt die Sehgewohnheiten der Zuschauer

Seite 83 - TV-Stick: Der Chromecast macht das Smartphone zur Fernseh-Fernbedienung

Seite 86 - Zweitschirm: Beim Fernschauen mit Laptop oder Tablet im Netz zu surfen wird immer beliebter

Seite 90 - Piraterie: In China boomt der Handel mit illegalen Online-Inhalten

Seite 92 - Nutzeranalyse: Die Digitalisierung erlaubt neue Formen der Fernseh-Konsumforschung

Seite 94 - Interview: Die Medienexpertin Karin Hollerbach-Zenz über die Aussagekraft von TV-Quoten

(wst)