Schneller als der Computer: Stenografie-Nachwuchs ist gefragt

Fräulein zum Diktat – dieses veraltete Bild verbinden viele mit Stenografie. Dabei ist die Kunst des flinken Schreibens auch im Zeitalter von Spracherkennung und Computer noch gefragt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Katharina Hölter
  • dpa

Wie lässt sich schneller schreiben – mit dem Computer oder mit Stift und Papier? Für die Stenografin Annemarie Mersch ist die Antwort klar: ohne Elektronik. 260 Silben schafft sie pro Minute – damit kann sie eine Rede live mitschreiben, wenn auch knapp. Selbst wer mit zehn Fingern blind die Tastatur bedienen kann, kommt da nicht mit.

Konzentriert blickt die 22-Jährige auf das linierte Blatt, das vor ihr liegt. Ihre Hände bewegen sich geschmeidig darüber – gar nicht einmal so viel schneller als bei der Langschrift. Doch für das, was im normalen ABC eine ganze DIN-A4-Seite füllen würde, braucht sie nur einige Zeilen. Manche Wörter hält sie in einem einzigen Zeichen fest.

Stenografin im Bundestag

(Bild: (c) Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann)

Mersch gehört zu den Top-Nachwuchsstenografinnen in Deutschland. Erste Plätze bei bundesweiten Jugendwettbewerben und Weltmeisterschaften hat sie vorzuweisen. Zurzeit studiert sie Germanistik in Düsseldorf – mit einem Ziel: als Stenografin im nordrhein-westfälischen Landtag zu arbeiten. Dort ist sie bereits jetzt als studentische Aushilfe beschäftigt.

"Ich bin ein Stenografenkind", sagt Mersch. Denn das Talent wurde ihr von den Eltern in die Wiege gelegt. Die nahmen bereits selbst an Wettschreiben teil und haben sich dabei kennengelernt. "Irgendwann als Kind hab ich meine Mutter in den Sommerferien gefragt, ob sie mir das beibringen kann", sagt Mersch. Und seit den ersten Übungsstunden ist sie dabei geblieben. Hobby und Berufswunsch zugleich? "Ja, auf jeden Fall", sagt Mersch und grinst. Belächelt werde sie dafür aber nicht, eher beneidet, weil sie genau wisse, was sie später machen wolle.

Aber Vorteile bringt ihre Spezialkenntnis auch jetzt schon: "Gerade im Studium, wenn Folien in einer Präsentation nur kurz gezeigt werden, kann ich viel schneller mitschreiben als die Kommilitonen", erklärt Mersch. Da kann sie öfter mal mit Details aushelfen.

Im Landtag sitzen Stenografen in Plenarsitzungen direkt im Saal und notieren jedes gesprochene Wort – volle Konzentration ist nötig. Siebeneinhalb Minuten schreiben sie mit, dann tippen sie das Stenografierte in den Computer, damit es sofort ins Protokoll kann. Währenddessen schreibt der nächste Stenograf mit. So geht das über mehrere Stunden in wechselnden Schichten.

Wenn Mersch es nach ihrem Studium an diesen Platz schafft, wird sie auch Reden von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) dokumentieren. "Ich bin politisch sehr interessiert – das muss man auch sein", sagt Mersch. Nachwuchs zu finden ist nicht leicht. Im Landtag sind zwar zurzeit zehn Stellen besetzt, aber die Auswahl an Stenografen ist wesentlich geringer als noch vor dreißig Jahren.

Mersch betreibt die Stenografie auch wie einen Sport. Ihr Trainer weiß, worauf es ankommt: "Man muss die Fähigkeit haben, den Text nachzuempfinden und aus dem Gedächtnis zu schreiben", erklärt Gerd Rölleke. Der 77-Jährige ist Vorstand im Dortmunder Stenografenverein, der sich zweimal wöchentlich zu Übungsstunden trifft.

Bereits mit 15 trat Rölleke an seinem Gymnasium in den Schüler-Stenografenverein ein und ist mittlerweile ein Urgestein in der Szene. "Die Kunst ist nicht das schnelle Schreiben. Die Kunst ist das sinnvolle Kürzen", sagt Rölleke. Ein Training, das das Gehirn im Alter fit halte. Die älteste Teilnehmerin im Kurs ist 78.

Eine der Übungen: Mit einer Stoppuhr in der Hand beginnt Rölleke eine Rede aus dem Bundestag vorzutragen. "Als wenn ich Bundeskanzler wäre", sagt der Stenografielehrer. Mersch spitzt ihre Ohren – das ist genau die richtige Aufgabe für sie. (mho)