Porno-Streaming: Erste Details zur riesigen Redtube-Abmahnwelle

Allmählich verdichten sich Hinweise darauf, wie die Streaming-Abmahner vorgegangen sein könnten und wie die Schreiben juristisch zu bewerten sind. Unterdessen haben Kriminelle eine riesige Welle von Trittbrettfahrer-Spam losgetreten.

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Von
  • Holger Bleich

Die Abmahnwelle zu angeblich rechtswidrigem Streaming-Konsum auf dem Pornovideo-Portal Redtube nimmt riesige Ausmaße an. Viele Anwaltskanzleien, die sich auf die Abwehr solcher Vorwürfe spezialisiert haben, berichten von nicht stillstehenden Telefonen. Rechtsanwalt Christian Solmecke sprach gegenüber heise online am heutigen Dienstag von bislang etwa 700 Telefonaten in der Sache: "Ich kann jetzt schon sagen, dass es in Deutschland so eine konzentrierte Abmahnaktion noch nicht gegeben hat."

Es gibt schon erste Trittbrettfahrer

(Bild: dpa, Andrea Warnecke/Illustration)

Im Windschatten der Abmahnwelle wurden nun sogar kriminelle Trittbrettfahrer aktiv: Derzeit prasselt eine große Spam-Welle auf Nutzer-Postfächer ein. Inhalt ist eine persönlich adressierte Abmahnung, vorgeblich von der real abmahnenden Kanzlei Urmann + Collegen (U+C). Im ZIP-Anhang sollen sich "Beweisdaten sowie die Bankdaten" befinden. Achtung: Natürlich handelt es sich um den Versuch, verunsicherte Nutzer zum Öffnen dieses Anhangs zu bewegen, hinter dem sich Windows-Schadsoftware verbirgt.

Die in Wahrheit abmahnende Kanzlei U+C sowie deren Mandantin, die The Archive AG, schweigen bislang zu allen sich stellenden Fragen. Viele Abgemahnte schwören Stein und Bein, noch nie Redtube.com besucht zu haben. Nicht nur sie fragen sich nun, wie U+C an ihre Adressen gekommen ist. Fest steht bislang, dass sämtliche zivilrechtlichen Auskunftsanträge in dieser Sache beim Landgericht (LG) Köln nicht von der Kanzlei U+C, sondern vom Berliner Rechtsanwalt Daniel Sebastian gestellt wurden. Rechtsanwalt Johannes von Rüden ist es gelungen, per Akteneinsicht an einen solchen Antrag sowie den zugehörigen LG-Beschluss zu gelangen und die Dokumente zu veröffentlichen.

In dem Antrag wird der Begriff "Streaming" bis auf eine Ausnahme in anderem Zusammenhang konsequent vermieden, obwohl es sich beim Tatvorwurf eben genau um angeblich widerrechtlichen Streaming-Konsum geht. Stattdessen ist irreführend von Redtube als "Download-Portal" die Rede, und statt von Streaming-URLs von "Download-Links". Der Vorgang des Streamens von Videos wird – auch technisch falsch – als "unbefugtes Herunterladen" umschrieben.

Die Ermittlung der Täter-IP-Adressen habe auf "üblichen und gebräuchlichen Internet-Technologien" beruht, heißt es. Genau wie bei P2P-Ermittlungen ist ständig von "Hash-Werten" die Rede, und von Dateien, die "zur Probe heruntergeladen werden". Bei oberflächlichem Lesen könnte der Eindruck entstehen, es handle sich hier um einen Antrag auf Herausgabe auf Tauschbörsennutzer, wie er beim LG Köln monatlich zu Hunderten eingeht. Auf eine Anfrage von heise online zu den Formulierungen verweigerte Rechtsanwalt Sebastian mit Hinweis auf seine Schweigepflicht jede Auskunft.

Die Vermutung drängt sich auf, dass Rechtsanwalt Sebastian beziehungsweise seine Mandantin The Archive AG die Zivilkammern des LG Köln übertölpen wollte. Hätten die Richter den Begriff Streaming gelesen, wäre ihnen wohl gleich aufgefallen, dass es sich hier um einen juristisch umstrittenen Tatvorwurf handelt. So aber sind tatsächlich 62 der 89 gestellten Anträge durchgewunken worden, und zwar wegen "unbefugtem öffentlichen Zugänglichmachen über eine sogenannte Tauschbörse", also wegen einer Tat, die im Antrag nicht erwähnt, aber suggeriert war. Einigen Kammern des LG Köln muss der Übertölpelungsversuch aufgefallen sein, denn immerhin 27 Anträge wurden zurückgewiesen.

Wer von einer Abmahnung betroffen ist, kann auch jetzt noch Beschwerde gegen die LG-Entscheidungen beim Oberlandesgericht Köln einlegen. Zwar sieht der einschlägige Paragraf 101, Abs. 9 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) vor, dass eine Beschwerde nur bis zu zwei Wochen nach Erlass möglich ist. Diese Einschränkung hat der Bundesgerichtshof (BGH) aber Ende 2012 mit einer Grundsatzentscheidung wieder aufgehoben. Ob es dem Rechteinhaber mit einer erfolgreichen Beschwerde auch erschwert werden würde, eine Klage zu führen, ist allerdings unklar.

Ob die Betroffenen wirklich alle auf Redtube waren, ist unklar.

Noch immer wird im Web darüber spekuliert, wie die Schweizer The Archive AG überhaupt IP-Adressen von Streaming-Konsumenten bei Redtube protokollieren konnte. Es verdichten sich die Hinweise, dass schlicht der Tracking-Service von Redtube für Werbepartner, die Bannerplatz auf dem Portal kaufen können, genutzt wurde. Dieser liefert nämlich dem ausliefernden Ad-Server unanonymisierte IP-Adresse sowie die genau URL des Abrufs. Außerdem könnte IP-Traffic deutscher Nutzer über den Dienst Traffic-Holder gezielt infiltrierten Seiten zugeführt worden sein. Darauf deuten Seitenaufrufe hin, die betroffene Nutzer in ihrer Browser-Historie gefunden haben. Der genaue Mechanismus ist allerdings noch im Dunkeln.

In den Anträgen von Rechtanwalt Sebastian ist die Rede davon, dass eine Software namens "GLADII 1.1.3" des Unternehmens "itGuards Inc." für die Erfassung der Täter-IP-Adressen zuständig gewesen sein soll. Die Beschreibung der Funktionsweise dieser Software wirkt abstrus und beschreibt nicht, wie es funktioniert haben könnte. Ein Mitarbeiter von itGuards versichert stattdessen eidesstattlich, dass schon alles mit rechten Dingen und "fehlerfrei" zugegangen sei.

Unterdessen mehren sich die Anzeichen, dass die Abmahnungen nicht nur inhaltlich, sondern auch formalrechtlich kaum zu halten sein dürften. Rechtsanwalt Thomas Stadler weist auf handwerkliche Mängel hin: Die Abmahnung beachte die neuen Vorgaben nach Paragraf 97a Abs. 2 UrhG nicht ausreichend. Demnach muss der Abgemahnte im Text klar darauf hingewiesen werden, falls die vorgeschlagene Unterlassungserklärung über die beanstandete Urheberrechtsverletzung hinausgeht. Dies hat die Kanzlei U+C versäumt, deshalb seien die Abmahnungen komplett unwirksam, so Stadler. Darüber hinaus könnten sich Betroffene sogar eventuell entstandene Anwaltskosten zur Abwehr gemäß Abs. 4 des Paragrafen bei The Archive AG wieder zurückholen. (hob)