Revolution am Messestand
Der japanische Motorradhersteller Yamaha will mit einer Chassis-Technik aus der Formel 1 in die Autoproduktion einzusteigen.
- Martin Kölling
Der japanische Motorradhersteller Yamaha will mit einer Chassis-Technik aus der Formel 1 in die Autoproduktion einzusteigen.
Innovationen sind manchmal wie Gras. Sie brechen dort durch den Asphalt, wo man es am wenigstens erwartet. Ein Beispiel lieferte jetzt der japanische Motorradhersteller Yamaha auf der Tokyo Motor Show. An seinem Messestand stand ein schmucker elektrisch betriebener Zweisitzer so groß wie ein Smart, dem man das Prototypenstadium wahrlich nicht mehr ansah. Die Sitze, die Nähte im lederbespannten Armaturenbrett und die Türgriffe sahen bereits aus, als ob er gleich vom Band rollen könnte. Doch unter der Haut befand sich eine höchst futuristische Technik aus Großbritannien, die nach Ansicht des Entwicklers den Autobau revolutionieren könnte.
Niemand bemerkte die große Innovation. Denn die Japaner verkauften die Neuheit mit einem überbritischen Understatement, tatsächlich erklärten sie gar nicht, was das Tolle an dem Mini-Auto war. Umso auskunftsfreudiger war der Schöpfer des Produkts – Gordon Murray, ein früherer Entwickler von Formel-1-Rennern. "Wir benutzen hier erstmals Formel-1-Technik im Chassis-Bau, aber ohne teure Formel-1-Materialien", erklärte er. Ja, mehr noch: "Was Sie hier sehen, ist die erste wirkliche Revolution in der Autoproduktion seit dem Ford T4."
Der T4 begründete die Fließband-Produktion. Seine neue Methode werde die Massenproduktion von individuell geformten Autos für einen Bruchteil der heute üblichen Investitionen ermöglichen, verheißt Murray, der eine eigene Designfirma mit dem Namen Gordon Murray Design führt.
Sind es Kohlefaserkarossen wie bei BMWs neuen Elektroautos? Ach was, Schnee von gestern, meint der Brite. Statt mit teuren Verbundwerkstoffen setzt er auf ein gerade einmal 25 Kilogramm leichtes Monocoque aus einem Polyurethan-Papierstoff als Trägerstruktur für die Karosse, bei dem das Material mit Wabenmustern angeordnet und oben und unten abgedeckt wird. Anders als bei BMWs i3 bildet der Verbundwerkstoff keinen Rahmen, sondern eher eine Wanne. Der aufgesetzte Stahlrahmen ist im Prinzip nur dazu da, damit Türen und andere Teile angebracht werden können. Aber da der Bereich nicht tragend ist, könne einfacher, billiger Stahl anstatt teurem Spezialstahl verwendet werden, erklärt Murray. Gleichzeitig bringt der seriennahe Elektro-Zweisitzer rund 200 Kilogramm weniger als vergleichbare Modelle der Konkurrenz auf die Waage. Gerade bei Elektroautos ist das eine andere Welt.
Kompromisse in Sachen Sicherheit sollen dennoch nicht notwendig sein. Die Idee überstand die europäische Crashtest-Norm bereits, erzählt Murray. Selbst ein Seitencrash verursachte nur eine kleine Delle im Monocoque. Experten auf der Messe fragten sich allerdings, ob das Autochen auch eine ausreichende Knautschzone aufweist. Denn nimmt die Karosse die Energie bei einem Crash nicht auf, muss es der menschliche Körper tun – äußerst schlecht.
Doch Murray wirbt nicht nur mit inneren Werten, sondern auch der dazugehörigen Produktion. Eine Linie mit einer Kapazität von 80.000 bis 100.000 Autos pro Jahr in zwei Schichten würde 80 Prozent weniger Kosten als eine herkömmliche Fabrik verursachen und den Energieverbrauch um 60 Prozent senken, so Murray. Denn Presswerke und Lackierereien fallen weg, die Automanufakturen bisher so teuer machen. Gleichzeitig lassen sich auf dem Monocoque sehr einfach unterschiedliche Karosserieformen aufsetzen, so dass sich einfach sehr unterschiedliche Autos auf einer Plattform herstellen lassen. Die Technik eigne sich daher hervorragend für automobile Start-ups, wirbt der Brite. "Falls eine Firma ein Presswerk aufbaut, braucht sie Jahre, um zu den etablierten Herstellern aufzuschließen, aber mit dieser Technik überholt sie die schnell."
Kein Wunder, dass Yamaha interessiert ist. Die Idee hinter dem Prototypen ist der Einstieg in den Autobau. Auf der Messe wollten die Japaner die Reaktionen der Kundschaft testen. Doch Murray arbeitet auch an Projekten mit zwei anderen Start-ups und vier Auto- und Motorradherstellern, Yamaha eingeschlossen. "Aber dieses ist das erste Projekt, über das ich öffentlich sprechen kann", freut sich der Formel-1-Designer. Schon aus technischer Neugier ist ihm zu wünschen, dass wenigstens einige der Projekte den Sprung in die Massenproduktion schaffen. (bsc)