CDU/CSU will die Vorratsdatenspeicherung auf der Agenda halten

Datenschützer und Branchenverbände ermahnen die geplante große Koalition: Angesichts der Vorentscheidung am EuGH gegen Vorratsdatenspeicherung sollte auf eine Neuauflage der Maßnahme verzichtet werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 33 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Bürgerrechtler, Datenschützer und Wirtschaftsverbände appellieren an die geplante große Koalition, angesichts der Vorentscheidung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Brüsseler Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von der beschlossenen Neuauflage der heftig umstrittenen Maßnahme abzusehen. Das Votum des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón zeigt etwa laut dem scheidenden Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, dass die mit dem verdachtsunabhängigen Aufzeichnen elektronischer Nutzerspuren verknüpften weitreichenden Eingriffe in die verbürgten Grundrechte "nicht mehr haltbar" seien.

Für Bundesdatenschützer Peter Schaar wäre eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung "nicht mehr haltbar".

(Bild: dpa, Hannibal Hanschke)

Schaar sprach von einem "eindeutigen Hinweis" an die neue Bundesregierung: Eine schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung dürfe "auf Basis einer offensichtlich europarechtswidrigen Richtlinie" nun nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

Mit dem Gutachten aus Luxemburg sollte der Politik laut dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung klar sein, dass das Instrument "keine Option mehr sein kann". Wenn Schwarz-Rot trotzdem "die
Totalprotokollierung des Telefon- und Internetverhaltens der Menschen erneut zum Gesetz" machen wolle, verließen CDU/CSU und SPD "mit ihrer Überwachungspolitik den Boden der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit".

Die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht die künftige Koalition ebenfalls am Zug, "sich von diesem überflüssigen und für die Pressefreiheit schädlichen Instrument zu verabschieden". Ähnlich äußerte sich die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Für die Digitale Gesellschaft belegen die Ausführungen des Generalanwalts, dass die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Gefahren "in krassem Missverhältnis zu dem kaum nachweisbaren Nutzen für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr stehen".

Die geschäftsführende Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sieht sich in ihrer Haltung gegen Vorratsdatenspeicherung bestätigt.

(Bild: dpa, Wolfgang Kumm)

Die geschäftsführende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fühlt sich mit dem Plädoyer aus Luxemburg in ihrer Anti-Haltung zum Speichern von Verbindungs- und Standortdaten ohne konkreten Verdacht bestätigt. Die bisherigen EU-Vorgaben würden "in breitem Umfang" als unvereinbar mit Europarecht betrachtet. Jetzt sei es "endlich an der Zeit, über Sinn und Unsinn der Vorratsdatenspeicherung ehrlich nachzudenken". Die FDP-Politikerin riet der EU-Kommission, die einschlägige Richtlinie von sich aus aufzuheben.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco begrüßte die deutliche Ansage ebenfalls. Sollte die künftige Bundesregierung ihre Pläne nicht auf Eis legen, drohe "erhebliche Rechtsunsicherheit", die zu einer untragbaren Belastung der gesamten Informations- und Kommunikationsbranche führe.

Schon im Vorfeld der Initiative des EuGH-Anwalts hatte Rainer Wendt, Chef der prinzipiell für die Vorratsdatenspeicherung kämpfenden Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Schwarz-Rot vor einem Schnellschuss gewarnt. "Wir haben jetzt einige Jahre, dank der FDP-Verweigerungspolitik, völlig ohne Vorratsdatenspeicherung auskommen müssen", sagte er dem "Handelsblatt". Einige weitere Monate Verzögerung seien da "zugunsten einer gerichtsfesten Lösung akzeptabel". Das jetzt vorliegende Gutachten habe "hohe Anforderungen" daran formuliert.

Für den CSU-Innenexperten Uhl bleibt Vorratsdatenspeicherung ein wichtiges politisches Anliegen.

(Bild: Hans-Peter Uhl )

Der Innenexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, betonte, dass die Vorratsdatenspeicherung "auf der politischen Agenda" bleibe. Die Kritik des Generalanwalts sei "wenig überraschend" gewesen und entspreche "unserem Rechtsverständnis, wie es auch im Koalitionsvertrag zum Ausdruck kommt". Die Union strebe eine Speicherdauer von drei Monaten an, zu der Villalón "nicht grundsätzlich Nein gesagt" habe. Es gebe ein "unabweisbares Bedürfnis nach einer solche Regelung". Zudem sei das eigentliche Urteil abzuwarten. Das Berliner SPD-Forum Netzpolitik forderte die Sozialdemokraten dagegen auf, ihre Positionen in der Streitfrage "komplett zu revidieren".

Der Generalanwalt haut in seinem Antrag (PDF-Datei) dem EU-Gesetzgeber die handwerklich schlecht gemachte, kaum Schutzgarantien aufstellende und "unpräzise" Richtlinie regelrecht um die Ohren und erhebt prinzipielle Einwände. Ihm zufolge erfordert "die größte Achtsamkeit" nicht erst die Verarbeitung auf Vorrat gespeicherter Daten, sondern bereits deren Erhebung und Aufbewahrung. Betroffen seien nämlich teils personenbezogene Informationen, die "das Geheimnis des Privatlebens einschließlich der Intimität" beträfen. Diese Einschätzung geht etwas weiter als die des Bundsverfassungsgerichts in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung.

Das Sammeln von Verbindungs- und Standortdaten in "gigantischen Datenbanken" schafft nach Villalón Voraussetzungen für eine Überwachung, die das Recht der EU-Bürger auf den Kern ihrer Privatheit "während der gesamten Dauer der Vorratsdatenspeicherung permanent bedroht". Die Auswertung der Bestände ermögliche es, "eine ebenso zuverlässige wie erschöpfende Kartografie eines erheblichen Teils" oder gar eines "kompletten und genauen Abbilds der privaten Identität" einer Person zu erstellen. Aufgrund des erzeugten "diffusen Gefühls des Überwachtwerdens" stelle sich die Frage nach der Vorhaltefrist in besonderer Weise.

Der spanische Jurist arbeitet weiter heraus, dass die mit der Richtlinie einhergehende "Akkumulation von Daten an unbestimmten Orten im virtuellen Raum" unabhängig von ihrer Dauer "tendenziell als anormal wahrgenommen wird", wenn sie bestimmte Personen betreffe. Eine solche Maßnahme dürfte allenfalls Ausnahmecharakter haben und zeitlich nicht über das "unerlässliche Maß" hinausgehen. Hierbei sei eine "nach Monaten bemessene" Speicherfrist von einer jahrelangen zu unterscheiden. (axk)