Videospiele-Branche fordert sachliche Debatte über Amoklauf von Winnenden

Politiker erneuern ihre Forderung nach einem Verbot von "Killerspielen". Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware meint hingegen, es sei kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Medien und dem Amoklauf erkennbar.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1292 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Am zweiten Tag nach dem Amoklauf eines 17-Jährigen in Baden-Württemberg werden Forderungen nach einem Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen lauter. So fordert der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl, ein totales Verbot von "Killerspielen". Dieses dürfe nicht vom Alter der Nutzer abhängen, sondern müsse generell gelten, sagte er der Thüringer Allgemeinen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte sich gestern bereits in einem Radio-Interview in diese Richtung geäußert. Er wolle einen neuen Anlauf im Bundesrat unternehmen, besonders gewaltverherrlichende Spiele verbieten zu lassen. Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) wendet dem entgegen heute in einer Mitteilung ein, nach derzeitigen Informationen sei ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Medien und dem Amoklauf nicht erkennbar.

Noch im September vorigen Jahres herrschte in der CDU/CSU keine Einigkeit über ein Verbot von Gewalt-Computerspielen. Heute wie seinerzeit erhalten die Befürworter Unterstützung von Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Instituts in Hannover. Er meint, in Krisensituationen könnten "Killerspiele" durchaus solche Gewalttaten auslösen. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sieht einem Bericht des Hamburger Abendblatts zufolge eine Prüfung des Verbots als nötig an, warnte aber auch vor einem "politischen Wettlauf" der Forderungen. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen sagte laut der Zeitung Neue Presse, "mit einem Ruf nach schärferen Gesetzen machen wir es uns zu leicht". Die Waffengesetze und die Vorschriften für gewaltverherrlichende Computerspiele seien gerade erst verschärft worden.

Der BIU schreibt in seiner Mitteilung, der Blick auf die eigentlichen Tatumstände dürfe nicht durch eine unsachliche Debatte über ein Verbot von "Killerspielen" verstellt werden. "Die vielen Todesopfer des tragischen Vorfalls von Winnenden erfordern einen sachgerechten Diskurs zu den Hintergründen des Geschehens." Die aktuelle Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einem schärferen Verbot für Computer- und Videospiele sei daher "vollkommen unangemessen und nicht zielführend". Es sei kein Versagen es Jugendschutzes festzustellen. Die aktuelle Gesetzeslage verbiete bereits heute die Verbreitung von gewaltverherrlichenden Computer- und Videospielen auf der Grundlage des Strafgesetzbuches. Der Bundesverband G.A.M.E. unterstützt die Reaktion des BIU.

Der 17-jährige Tim K. hatte vorgestern in der Albertville-Realschule in Winnenden neun Schüler und drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht vor der Polizei tötete er drei weitere Menschen und schließlich sich selbst. Erste Untersuchungen des Computers des Amokläufers ergaben, dass darauf der Ego-Shooter Counter-Strike installiert war. K. soll sich nach Angaben der Polizei die vergangenen Monate intensiv mit Gewalt-Computerspielen beschäftigt haben. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech hatte gestern in einer Pressekonferenz gesagt, der Amokläufer habe seine Tat im Internet angekündigt. Dazu wurden Passagen aus einem Gespräch in einem Internet-Forum präsentiert, das der 17-Jährige angeblich mit einem Gleichaltrigen aus Bayern in der Nacht vor dem Amoklauf geführt hatte. Inzwischen wurde bekannt, dass auf K.s Computer dafür keine Nachweise gefunden wurden und das angebliche Beweisbild offenbar gefälscht war. Im Laufe des Tages will die Polizei dazu noch angebliche Zeugen befragen. Rech rechtfertigte sich laut einem Bericht des Stern: "Wir haben nur den aktuellen Stand der Ermittlungen mitgeteilt. Ermittlungen sind, während sie laufen, immer Momentaufnahmen. Insofern wurden die Ermittler von der Aktualität eingeholt."

In Nürnberg wurde derweil heute die größte Waffenmesse der Welt IWA eröffnet. "Wir sind entsetzt und erschüttert über die Ereignisse", sagte Petra Wolf von der veranstaltenden NürnbergMesse laut einem Bericht des Münchner Merkur. Auch Hersteller und Händler hätten sich tief betroffen gezeigt, aber zugleich vor einer übereilten Verschärfung des Waffenrechts gewarnt.

Während Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble so wie Rech die Auflagen für den Waffenbesitz als streng genug einschätzt, richtet Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einen Appell an die Schützenvereine. Sie sollten ihre Mitglieder besser kontrollieren und in die Verantwortung nehmen, sagte die Ministerin laut einem Interview mit der Rheinischen Post. Zum Thema Gewalt-Computerspiele sagte sie: "Ich kenne viele Heranwachsende, die in einem bestimmten Alter etwa Counter-Strike spielen oder gespielt haben, aber deswegen noch lange nicht zu Gewalttätigkeiten neigen." Es dürfe nicht unterschätzt werden, dass ein Verbot manche Spiele auch erst interessant mache.

Siehe zur Diskussion über Gewalt-Computerspiele auch den Online-Artikel in c't-Hintergrund zur bisherigen Berichterstattung über die Diskussion um das Jugendmedienschutzrecht, Gewaltspiele, Verbotsforderungen und Beschränkungen für Jugendliche bei Spielen:

(anw)