Der fröhliche Verlierer

Amazon schreibt seit Jahren fast nur Verluste – aber nicht, weil die Geschäfte schlecht laufen. Der wahre Grund: Der Konzern finanziert mit seinen Gewinnen einen harten Konkurrenzkampf.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • George Anders

Der Platzhirsch unter den Online-Händlern schreibt seit Jahren fast nur Verluste – aber nicht, weil die Geschäfte schlecht laufen. Der wahre Grund: Der Konzern finanziert mit seinen Gewinnen einen harten Konkurrenzkampf – und seine stetige technische Weiterentwicklung. Das Ziel: Zum perfekten digitalen Warenhaus zu werden. Vielleicht bald mit Drohnen als Kurieren.

Warum haben einige Geschäfte Erfolg, während andere pleitegehen? Diese Frage beschäftigt Einzelhändler seit Generationen, mit unterschiedlichen Antworten. Ende des 19. Jahrhunderts setzte man auf die Architekten. Erfolgreiche Händler wie der Berliner Georg Wertheim oder der Chicagoer Marshall Field errichteten Einkaufspaläste, die so prachtvoll waren, dass die Kunden von selbst hineinströmten. Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Postversand zur „Killer App“, mit Sears Roebuck an der Spitze der Bewegung in den USA, das deutsche Pendant war das Versandhaus Quelle. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts eroberten dann Vorstadt-Discounter wie Target und Walmart das Geschäft.

Nun ist der Kampf ins Netz gewandert. Ein Sieger ist bislang noch nicht auszumachen. Riesen wie Walmart und kleine Händler wie Tweezerman.com betreiben alle ihre eigenen Webseiten, um die rasant wachsende Kundennachfrage zu bedienen. 2012 legte der Online-Einzelhandel in den USA laut einer Auswertung der Marktforschungsfirma comScore und des Paketdienstleisters UPS um 15 Prozent auf insgesamt 186 Milliarden Dollar zu – siebenmal so stark wie der traditionelle Einzelhandel. In der EU betrug der Zuwachs sogar 19 Prozent und liegt nun bei 312 Milliarden Dollar. Doch der Triumph des E-Commerce über den Einzelhandel ist teuer erkauft: Der Preiskampf ist gnadenlos, und die Profite sind, wenn es überhaupt welche gibt, minimal. So bleibt der Online-Marktplatz ein Schlachtfeld, allerdings eines von ständig wachsender Bedeutung.

Selbst der Primus der Branche, Amazon, verfolgt ein Geschäftsmodell, das so manchen ratlos macht. Auf der einen Seite fährt der Online-Händler in diesem Jahr einen Umsatz von 75 Milliarden Dollar ein. Auf der anderen Seite schreibt er rote Zahlen: Im vergangenen Quartal verbuchte Amazon einen Verlust von 41 Millionen Dollar. Gründer und CEO Jeff Bezos ist an kurzfristigen Gewinnen nicht interessiert. Als er einmal darauf angesprochen wurde, dass Amazon nur für einen kurzen Zeitraum im Jahre 1995 profitabel war, frotzelte er, das sei „wahrscheinlich ein Fehler“ gewesen.

Schaut man genauer hin, wird jedoch eine Strategie erkennbar. Amazon schaufelt permanent Geld zurück in sein Geschäft. Das geht zum Beispiel in die geheimniskrämerische Forschungsabteilung des Konzerns, Lab126, rund 1000 Kilometer südlich seines Hauptquartiers in Seattle. Dort arbeitet man am Kindle der nächsten Generation und anderen mobilen Geräten. Amazon gibt zudem viel Geld aus, um die modernsten Lagerhäuser zu errichten, den Kundendienst noch geschmeidiger zu machen und andere Ideen zu entwickeln, die den Marktanteil weiter vergrößern. Der frühere Amazon-Manager Eugene Wei hat es kürzlich in einem Blog-Eintrag so zusammengefasst: „Das Kerngeschäft von Amazon wirft bei jeder Transaktion Profit ab. Der Grund, dass man den nicht sieht, ist, dass Amazon massiv investiert, um die Verkaufsbasis immer weiter auszubauen.“

Die Lagerarbeiter haben nicht viel von dem Geld, wie die jüngsten Berichte über die dortigen Arbeitsbedingungen zeigen. Die meisten Investitionen fließen in neue Technologien. Denn für Amazon ist der Einzelhandel im Wesentlichen eine gigantische Aufgabe für Ingenieure. Algorithmen bestimmen alles, von der Art und Weise, wie das digitale Schaufenster eingerichtet ist, bis zur optimalen Auslieferung. Andere große Händler geben viel Geld für Werbung aus und vertrauen auf ein paar Hundert Ingenieure, den Laden am Laufen zu halten. Amazon jedoch begnügt sich mit einem geradezu mickrigen Werbebudget, während es Tausende von Ingenieuren beschäftigt, die direkt nach ihrem Uni-Abschluss vom MIT, der Carnegie Mellon University oder vom California Institute of Technology angeworben werden.

Amazon ist ein Innovator. Und es ist zur Innovation verdammt. Das liegt an drei Defiziten, die es im Vergleich zum klassischen Einzelhandel hat: Es gibt keine Einkaufszentren, in denen Kunden die Waren in die Hand nehmen können. Es gibt keine Verkäufer, die sich um Kunden kümmern können. Und es gibt für Käufer nicht die Möglichkeit, ihre Waren gleich nach dem Bezahlen in Besitz zu nehmen. Alles, was die Amazon-Ingenieure erfinden, dient letztlich dazu, diese fundamentalen Defizite vergessen zu machen.

Jüngstes Beispiel dieser Strategie ist die provokante Idee, Bestellungen per Drohnen zuzustellen. Anfang Dezember enthüllte Bezos in der amerikanischen Newssendung „60 Minutes“, dass seine Firma Amazon Prime Air entwickeln wolle: Eine Möglichkeit für Online-Shopper, ihre Waren innerhalb von 30 Minuten nach Bestellung zu erhalten. Der Schlüssel für diese Technologie: Oktokopter, unbemannte fliegende Drohnen mit acht Rotoren, etwa einen Meter groß. Sie wären stabil genug, um kleine Pakete durch die Luft zu transportieren und im Hinterhof des Kunden zu landen.

(jlu)