Zypries stemmt sich gegen Vertrag zu Kinderporno-Sperren

Die Bundesjustizministerin hat vor "erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken" bei der vom Familienministerium nachdrücklich geforderten Selbstverpflichtung von Providern zum Sperren kinderpornographischer Webseiten gewarnt.

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Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat vor "erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken" bei der vom Bundesfamilienministerium nachdrücklich geforderten Selbstverpflichtung von Providern zum Sperren kinderpornographischer Webseiten gewarnt. Das gewünschte "Access Blocking" betreffe unabhängig von einem "noch so berechtigten Zweck" Grundrechte der Bürger, teilte die SPD-Politikerin ihrer CDU-Kollegin Ursula von der Leyen am Donnerstag in einem heise online vorliegenden Schreiben mit. "Daher geht es hier um eine grundsätzliche Weichenstellung, ob und wie man Sperrmaßnahmen rechtlich korrekt durchführen kann." Machbar sei dies allenfalls auf Basis einer "klaren gesetzlichen Grundlage".

Betroffen sieht Zypries in erster Linie das Fernmeldegeheimnis, das auch auf das Internet anzuwenden sei. Access Blocking bedeute aber, "dass die gesamte Kommunikation im Internet, also auch die Kommunikation von Millionen völlig unbescholtener Internetbenutzer, gefiltert werden muss". Jeder einzelne Datenstrom sei zumindest bei einer "effektiven Sperrmaßnahme" daraufhin zu überprüfen, ob mit ihm kinderpornographische Inhalte abgerufen werden sollten. Dabei werde gezielt von Verbindungs- und unter Umständen auch von Inhaltsdaten Kenntnis genommen, was einem schweren Grundrechtseingriff gleichkommen könne. Ferner dürfte auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer betroffen sein.

Die vom Familienministerium angestrebte Lösung in Form eines Vertrags "über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet" enthebe den Staat nicht aus seiner Verantwortung, widerspricht Zypries zugleich der gemeinsamen Auffassung des Familien-, Wirtschafts- und Innenministeriums. Es sei schließlich das Bundeskriminalamt (BKA), das die Liste mit den "vollqualifizierten Domainnamen" erstelle und die Provider auffordere, diese schwerer abrufbar zu machen. Damit müsse man bejahen, dass die grundrechtsbeschränkende Wirkung "auf einem der öffentlichen Gewalt zurechenbaren" Akt beruhe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könnten durch das Vertragskonstrukt daher "die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden". Überdies seien die Zugangsanbieter selbst über das Telekommunikationsgesetz ans Fernmeldegeheimnis gebunden.

Der Grundrechtseingriff lässt sich nach Ansicht der Justizministerin auch nicht durch den Einbau einer Klausel zur Berechtigung von Websperren in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Provider quasi wegzaubern. Zwar könne jedermann vorab und von sich aus in eine Beschränkung seiner Rechte einwilligen. Es bestünden jedoch erhebliche Zweifel, ob bei der verfolgten Vertragslösung von einer Freiwilligkeit auszugehen sei. Diese seien besonders groß, weil laut Familienministerium die marktbeherrschenden Anbieter einbezogen werden sollten. Deren Kunden wären so faktisch gezwungen, im Interesse der Beibehaltung eines Netzzugangs die umstrittene Klausel hinzunehmen. Nicht zuletzt böte der nicht gesetzliche Ansatz auch keine hinreichenden Möglichkeiten etwa für Verfahrenssicherungen, dass keine legalen Inhalte auf die "Blacklist" gelangen.

Die vorgeschlagene Umleitung von Anfragen auf Webinhalte angeblich kinderpornographischer Natur auf eine "Stopp-Seite" hält Zypries nur für legal, wenn der dahinter stehende Server ausschließlich vom jeweiligen Zugangsanbieter betrieben werde. Dieser würde sich aber strafbar machen, wenn Daten, die Rückschlüsse auf die gestoppte Person zulassen, bewusst oder versehentlich an Dritte übermittelt würden. Weiter dürften die anfallenden Informationen wie IP-Adressen für die Strafverfolgung relevant sein und als Offizialdelikt verfolgt werden. Der von der Familienministerin angestrebte präventive Ansatz würde sich daher mit dieser Variante nicht verwirklichen lassen. Nicht unerwähnt lassen will die Justizministerin, dass das Führen der Liste durch das BKA bedenklich sei. Der Gesetzgeber habe der Behörde präventive Aufgaben allein zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eingeräumt.

Abschließend versichert Zypries ihrer Kabinettskollegin in dem Brief, dass sie auch künftig alle wirksamen und in einem Rechtsstaat möglichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderpornographie "nach Kräften" unterstützen werde. Schon zu Beginn des Schreibens hatte sie auf zwei Seiten mit der Auflistung einer ganzen Palette von Gesetzesverschärfungen dem möglicherweise aufkommenden Eindruck widersprochen, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht entschlossen gegen Kinderpornographie vorgegangen sei. So könne etwa seit 2003 schon die reine Weitergabe entsprechender Schriften nur wegen des eigenen Besitzes mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft werden.

Die Wirkung dieser Schritte sei nicht ausgeblieben, betont die Sozialdemokratin. So habe allein die umstrittene Operation "Himmel" in den vergangenen beiden Jahren zu über 12.000 strafrechtlichen Ermittlungen bundesweit geführt. Die Entschlossenheit der Justizministerin, die Pläne von der Leyens nicht mitzutragen, spricht nicht für die vom Familienministerium erhoffte rasche Einigung am Kabinettstisch. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich derweil indirekt für Sperren aus. "Einfach nur mit der Freiheit des Internets zu argumentieren, wird uns letztlich auch nicht weiterhelfen", sagte die CDU-Politikerin im Deutschlandfunk. "Ich gehöre, ehrlich gesagt, zu denen, die immer wieder überlegen: Kann man nicht doch etwas tun?" (Stefan Krempl) / (uma)