Wasteland 2: Das klassische Computer-Rollenspiel ruft

Interplay-Veteran Brian Fargo hat mit seiner aktuellen Spieleschmiede inXile eine Betaversion des von Rollenspielfans heiß erwarteten Wasteland 2 geliefert. Das Spiel bringt eine starke Story, ein stichwortgestütztes Dialogsystem und feinen Humor mit.

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Wasteland 2, das Kickstarter-finanzierte postapokalyptische Rollenspiel des Branchenveteranen Brian Fargo, ist nun bei einer stabilen Betaversion angekommen.

Rund vier Monate nachdem Besucher der 2013er Gamescom erste Blicke auf das Projekt werfen konnten, hat Fargos Studio inXile Entertainment die gut spielbare Beta-Fassung auf Steam präsentiert. Zugriff darauf haben diejenigen Unterstützer der Kickstarter-Kampagne, die mindestens 55 US-Dollar gegeben haben, sowie beliebige Interessenten, die bereit sind, knapp 45 € für den sofortigen Zugriff über den "Steam Early Access" auszugeben.

Das Spiel beginnt mit dem Zusammenstellen eines Teams, wobei man auf einen Pool vorgefertigter Figuren zurückgreifen oder eigene Charaktere erschaffen kann. Dabei investiert man genretypisch Punkte in Attribute und Fähigkeiten: Je nach gewünschtem Zuschnitt einer Figur ist dann etwa deren Stärke oder Konstitution besonders ausgeprägt, außerdem verschafft man ihr besondere Talente für die Tätigkeit eines Feldsanitäters, fürs Schlösserknacken oder für den Umgang mit einem bestimmten Waffentypus. Von den möglichen Fähigkeiten eines Charakters hängt bei einem klassichen Rollenspiel vieles ab. Bei Wasteland 2 gliedern sich diese Fähigkeiten in drei Gruppen, die den Kampf, das Wissen und einen allgemeinen Bereich betreffen. Texteinblendungen erläutern die Wechselwirkungen und Boni, die sich mit dem Investieren von Punkten verbinden. Überhaupt spielt Text bei Wasteland 2 eine große Rolle, wie eine ausgiebige Session mit der Betaversion gezeigt hat.

Eine Bestattung in der postapokalyptischen Wüste bildet den Auftakt zu einer spannenden Mission.

Nachdem meine Truppe steht, landet sie das erste Mal in der dreidimensionalen Spielwelt. Wer den Umgang mit Rollenspielen am PC gewohnt ist, fühlt sich bei der Steuerung gleich heimisch. Da nicht jede einzelne Tastenfunktion erklärt wird, müssen Neulinge sich mit einem Blick in die Optionen behelfen – oder mit Probierfreude. In puncto Grafik wird Wasteland 2 wohl keine Preise gewinnen. Die Darstellung der bisweilen grob wirkenden Modelle in Schrägdraufsicht ist übersichtlich, bietet allerdings nicht gerade einen Augenschmaus. Aber das tut dem Spielspaß keinen Abbruch.

Für die Erfüllung meines ersten Auftrags winkt die Aufnahme in die Reihen der Rangers. Die Aufgabe besteht darin, ein paar Peilsender auf Funktürmen in der Umgebung anzubringen. Außerdem soll mein Team nachforschen, wer dem Ranger, der diesen Auftrag ursprünglich hatte und dessen Bestattung ich gerade beigewohnt habe, den Garaus gemacht hat.

Das Spiel vermittelt viele Details über Textfenster.

Viele Details, die das Team wahrnimmt, werden über Textfenster vermittelt. Das betrifft auch Gefühlsregungen von Leuten, die man trifft. Die Lektüre der Texte ist Pflicht für denjenigen, der nichts Wichtiges verpassen will.

Nicht nur gründliches Lesen, sondern auch das penible Erforschen einzelner Sektoren lohnt sich: Da meine Gruppe nicht schnurstracks zum ersten Zielpunkt marschiert, findet sie ein weiteres Teammitglied. An einer anderen Stelle stoße ich auf Optionen, die mich in eine taktisch bessere Position bringt, um eine Gruppe von Feinden auszuschalten. Auch Nebenaufträge lassen sich nur dann finden, wenn man alles
erkundet.

Strategisch-taktische Feinheiten bei der Platzierung der Figuren halten sich in Grenzen: Nicht alle Dächer lassen sich erklimmen, und die Akteure stehen normalerweise aufrecht. Nur wenn sie sich hinter einer halbhohen Deckung befinden, gehen sie automatisch in die Knie.

Grundsätzlich gilt es vor einem Kampf, die eigene Gruppe optimal zu platzieren und dabei verfügbare Deckung oder Anhöhen zu nutzen. Gleichzeitig muss das Team seine Gegner im Blick behalten. Die strategische und taktische Komponente ist allerdings nicht so ausgeprägt wie etwa bei Jagged Alliance 2.

Neben dem Kampf nimmt der Dialog einen großen Stellenwert ein. Hier kann das stichwortgestützte Dialogsystem seine Stärke ausspielen. Wenn eine Figur mit einer anderen spricht, sind einige Begriffe farbig markiert und tauchen als anzuklickende Buttons unterhalb des Dialogfensters auf. Ich kann entscheiden, ob ich diesen Dialogstrang verfolge oder nicht. Einige Optionen lassen sich nur wählen, wenn man die passende Fähigkeit hat. Insgesamt hilft das System, auch ausgedehnte Gespräche übersichtlich zu halten.

Kämpfe laufen rundenweise ab, ansonsten agiert man in Echtzeit. Insgesamt macht der gegenwärtige Entwicklungsstand von Wasteland 2 einen guten Eindruck, auch wenn es bei der Betaversion erwartungsgemäß an manchen Stellen hakt. Da läuft beispielsweise eine Animation mal nicht ab und die Charaktere schweben über dem Boden. Dann wieder muss ich zweimal klicken, um in die richtige Inventarliste zu kommen. Ungünstig ist der Weg zum Levelaufstieg gestaltet: Sobald ich die nötigen Erfahrungspunkte zusammen habe, muss ich zunächst mit der Basis in Funkkontakt treten, um eine "Field Promotion" zu erhalten. Erst danach kann ich im Charaktermenü die erworbenen Punkte verteilen.

Liebhaber von Rollenspielen alter Schule erwarten ungeduldig die demnächst anstehende finale Version. Kein von hektischer Action getriebenes Hack'n'Slay, keine fotorealistische Grafikorgie – aber eine starke Story, filigranes Hantieren mit Charakterwerten und viele kleine Gags. Ein Beispiel gefällig? An Kisten, die man relativ bald nach dem Spielstart findet, prangt die Aufschrift "Betamax, das Videosystem der Zukunft". Die Zukunft, das wissen Rollenspieler, ist halt auch nicht mehr das, was sie mal war.

(psz)