30C3: Wearables kontra Privatsphäre

Datenbrillen perforieren die Privatsphäre ähnlich wie die ersten massengefertigten Fotokameras vor über 100 Jahren, meinte Stephen Balaban auf der Hackerkonferenz. Dennoch entwickelte er eine Basecap mit viel längerer Laufzeit als Googles Glass.

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Googles Datenbrille Glass und kommende, leistungsfähigere Geräte würfen ähnliche Fragen für die Zukunft der Privatheit auf wie erste Fotokameras Ende des 19. Jahrhunderts, meinte der Entwickler Stephen Balaban am Samstag auf dem 30. Chaos Communication Congress (30C3) in Hamburg. Mit den Wearables werde es möglich, größtenteils unbemerkt Unmengen personenbezogener Informationen über Dritte etwa auf öffentlichen Straßen zu sammeln, zu speichern und auszuwerten. Google könnten die Daten beispielsweise helfen, die Klickraten auf Online-Banner dank zielgerichteter Werbung zu erhöhen, führte der Gründer der kalifornischen Firma Lambda Labs aus. Größere Angst habe er aber vor einer "drakonischen staatlichen Überwachung" mithilfe entsprechender Mobilgeräte.

Bei Google Glass soll das Ausfahren eines Video-Bildschirms andere darauf aufmerksam machen, dass sie gefilmt oder fotografiert werden. Eine spezielle LED-Leuchte werde dagegen nicht aktiviert, erklärte Balaban in seinem Vortrag über Hackmöglichkeiten der Datenbrille. Die entsprechende Auflage werde zudem nur über einen Softwarebefehl durchgesetzt, der einfach zu umgehen sei. Dazu benötigten Code werde er demnächst auf seine Webseite hochladen.

Unerkannt aufnehmen ...

Stephen Balabans Lambda Hat zeichnet dank größerem Akku länger Videos auf als Google Glass oder andere Datenbrillen.

Einen Rootzugang zum Glass-Betriebssystem brauche man zum Aushebeln des Aufnahmehinweises nicht, erläuterte der Tüftler. Der sei aber auch nicht schwer zu erhalten: Die auf Android aufbauende Glass komme mit einem Bootloader, der über eine bereits bekannte Sicherheitslücke umgangen werden könne. So könne man der Datenbrille ein eigenes Startprogramm für Apps wie Trebuchet oder Railgun unterschieben.

Eine gewichtigere Beschränkung für kreative Nutzer sieht Balaban im vergleichsweise schwachen Akku. Seine Kapazität erlaube nur rund 60 Minuten Videoaufnahme oder etwa acht Stunden Nutzung mit geringerer Prozessorbelastung. Prinzipiell könne man die Brille oder ein ähnliches Android-Smartphone aber dafür einsetzen, den ganzen Tag über etwa Fotos von Autokennzeichen oder Gesichtern zu machen, darauf basierend Datenbanken einzurichten oder die Bilder mit bestehenden Informationshalden abzugleichen.

Google und Facebook arbeiteten bereits daran, auf Basis solcher "Life Logs" Anwendungen für ein zentrales Maschinengehirn als Datenspeicher beziehungsweise eine "Theorie des Bewusstseins" für ihre Nutzer zu entwickeln, berichtete Balaban. Im Hintergrund bauten die kalifornischen Internetkonzerne dafür große neuronale Netzwerke auf. Damit werde es immer leichter, etwa Nummernschilder oder Gesichter aus dem aufgezeichneten Datensalat herauszufiltern.

... mit Laufzeitverlängerung

Die schiere Menge an Daten, die mit Wearables erhoben werden kann, bezeichnete Balaban prinzipiell als besorgniserregend. Trotzdem hat er selbst mittlerweile einen "Lambda-Hut" entwickelt, in den er nach eigenen Angaben einen "viel größeren Akku" für ein Glass-ähnliches Android-System eingebaut hat. Die Basecap sei kaum schwerer als eine normale Mütze, könne aber bis zu 16 Stunden lang Bildmaterial aufnehmen. Er fliege von Hamburg aus direkt nach China, um mit dortigen Herstellern über eine Serienproduktion zu sprechen.

Laut dem Kalifornier werden solche Geräte künftig genauso ein zentraler Teil des Lebens der Menschen sein wie heute Smartphones. Der Rechtsrahmen sei darauf aber noch nicht richtig eingestellt. Balaban selbst ist dafür, das Aufnehmen anderer Personen auf der Straße ohne deren Einwilligung zu untersagen. Er erinnerte an den wegweisenden Aufsatz "The Right to Privacy" der US-Rechtsexperten Samuel Warren und Louis Brandeis von 1890, der etwa eine Reaktion auf die erste auf dem Markt verfügbare "Brownie"-Kamera von Kodak dargestellt habe. Das Recht auf Datenschutz müsse unter den jetzigen Umständen neu definiert werden. (ea)